Tag 1, Montag, Anreisetag
Wir kommen gegen halb vier nachmittags, eine halbe Stunde früher als vereinbart, in unserer Airb’n’b-Unterkunft an und Ciska, die Gastgeberin, ist noch nicht ganz damit fertig , unser Zimmer herzurichten. Sie weiß damit umzugehen, fragt, wie wir uns in Amsterdam fortbewegen wollen, und als wir wie erwartet „mit Tram und Metro“ antworten, sagt sie uns erstmal, wo wir ganz in der Nähe die Tickets kaufen können. Auf diese Weise sind wir ihr aus den Füßen und kommen zu unserem ersten Spaziergang, der sehr angenehm durch den direkt vor ihrer Tür beginnenden Park zu einem nahegelegenden, kleinen Einkaufszentrum führt. Eine dreiviertel Stunde später sind wir zurück und beziehen unser Zimmer, das von kreativer Freude und Drogenerfahrungen zeugt. Wir sind zufrieden, fließendes Wasser und eine kleine Kaffee- und Teeküche direkt neben dem Bett, was wollen wir mehr.
Weil es immer noch früh am Abend ist, beschließen wir, nach Amsterdam hereinzufahren und noch etwas von der Stadt zu sehen, nebenbei schon einmal die Strecke zu erkunden und vielleicht einen Streckenplan zu erfragen.
Unser Stadtgang führt uns in „De Pijp“, ein Stadtviertel, mit dem wir bei unserem Amsterdambesuch vor neuneinhalb Jahren schon gute Erfahrungen gemacht haben. Wir erleben die Reinigungsarbeiten nach dem täglich dort stattfindenden Flohmarkt und wundern uns, dass so wenige der Lokale vor Ort geöffnet sind.
Den Tagesabschluss „zuhause“, also in unserer Unterkunft, verbringen wir mit der Vorbereitung des morgigen Tages, Dadelei auf dem Handy und lesen. Erwähnenswert vielleicht, dass wir diesmal näherungsweise unvorbereitet in die Tage gegangen sind. Im Grunde haben wir nur zwei volle Tage, die wir anders als bei unserem ersten Besuch, der im Winter und überwiegend in beheizten Museen stattfand, diesmal in der frühsommerlichen und hoffentlich besonnten Stadt verbringen wollen. Es geht uns weniger um Sehenswürdigkeiten, sondern um Eindrücke und eine gute Zeit. Eigentlich gilt es nur, einen geeigneten Startpunkt festzulegen und dann loszulaufen. Das ist nicht weiter schwer, denken wir, dennoch wird dieser Ansatz uns beide in den nächsten beiden Tagen gelegentlich irritieren. Das wissen wir nur noch nicht.
Tag 2, Dienstag
Startpunkt Centraal Station, der Hauptbahnhof, wie es der Name sagt zentral gelegen im Grachtengürtel und inmitten der bestbesuchten Sehenswürdigkeiten von Amsterdam. Touristisch lässt sich hier kaum etwas falsch machen, wer sehen kann wird etwas finden, das des Sehens würdig ist. Die Begabten unter uns schlagen dann im Reiseführer oder bei der Suchmaschine ihres Vertrauens nach, was sie da gerade ansehen. Oder lassen es sich während einer Grachtenrundfahrt erzählen, wie wir das getan haben (ja, uns graut vor nichts und zumindest ich bin in dem Alter, wo auch eine Butterfahrt auf dem Rhein im Möglichkeitshorizont auftaucht). Grachtenrundfahrt also, auf mein Betreiben hin, eine Stunde für vergleichsweise kleines Geld, gemessen am Amsterdamer Standard und unseren sonstigen Ausgaben. Was mich zu einem alten Reisekonzept meines Vaters bringt, dem ich in diesem Kurzurlaub nacheifern wollte. Der alte Herr nämlich war gewohnheitsmäßig sparsam, aber einmal im Jahr, während des Jahresurlaubs, der damals noch in Italien oder Jugoslawien stattfand, hatte er wirklich weite Spendierhosen an. Daran wollte ich orientiert sein.
Was dann auch erstens sehr gut klappt und zweitens sehr notwendig ist. Wir kehren im Sea Palace ein, erwartbar gut und teuer, ab jetzt kein Thema mehr, die Dinge kosten, was sie kosten. Herausforderungen warten an anderen und unerwarteten Stellen. Bestellungen sind nur über das Smartphone möglich (immerhin, das Einlesen des QR-Codes der elektronischen Speisekarte funktioniert problemlos über Google-Lens) und ein robotischer Kellner bringt die Speisen in Tischnähe, wobei die voreingestellte Fahrspur gefühlte 20 Zentimeter zu nah aber vollkommen komplikationslos an A.’s Stuhl vorbei führt. Ein menschlicher Kellner übernimmt bei uns und allen anderen für den letzten Meter und die Getränke. Schöne, neue Welt.
Nach dem Essen brauchen wir ein neues Ziel für unsere eher ziellose Eindruckssammelei und weil ein Ziel so gut ist, wie das andere, tun wir eine Weile so, als seien wir ein Paar, das sich beim örtlichen Saatgutprovider auf die deutsche Canabis-Legalisierung vorbereitet oder ernsthaft an Microdosing interessiert sei. Eine gute Entscheidung, am Abend wird uns Google mitteilen, dass wir mehr als zehn Kilometer kreuz und quer durch den ganzen Grachtengürtel gelaufen sind. Dabei haben wir das Rotlichtviertel und den Damplatz gestreift, konnten auf belebten Plätzen Drohnenpiloten und Live-Rappern zusehen und -hören, kurz in einem Coffee-Shop verweilen (seltsam, ganz anderes Publikum als in unseren Cafés) und auf dem Schaukai des Schifffahrtsmuseums über die Funktionsweise von Ankern philosophieren.
Heimwärts auf bekannten Wegen und Linien, wir sind zufrieden und haben auf dem Weg alles bekommen, was wir suchten, H-Milch bei der örtlichen Aldi-Ensprechung und eine neue Funkmaus beim Elektronikhändler, der sogar so heißt wie zuhause.
Und wir sind sehr müde.
3. Tag, Mittwoch
Unser heutiger Startpunkt ist der Flohmarkt am Waterlooplein, wir frühstücken Fritten am Stand und Kaffee im Café bevor wir uns durch den Grachtengürtel („Ich will Grachten sehen!“) in Richtung Walter-Cuipstraat aufmachen. Oft bleiben wir auf den Brücken stehen, zum einen, weil es dort meistens etwas zu sehen gibt, Hausboote zum Beispiel, zum anderen, weil wir noch von der gestrigen Lauferei angestrengt – um nicht zu sagen beeinträchtigt – sind.
In der Albert-Cuipstraat erleben wir den täglich darauf stattfindenden Flohmarkt endlich einmal bei Tag und belebt. Am ersten Abend und auch vor neuneinhalb Jahren sind wir dort während der allabendlichen Reinigung entlang geschlendert. Und schlendern lässt sich auch im Tagesbetrieb sehr schön, es ist nicht sehr voll. Was ich immer dann sage, wenn ich zu jedem Zeitpunkt die Stände auf beiden Seiten des Ganges sehen kann. Am Fischstand gibt es ganz besondere Schnäppchenjäger zu bestaunen.
Und dann, nach dem Flohmarkt, gehen wir vollkommen zufällig in irgendeine der sich anbietenden Richtungen, gerade noch nicht hungrig genug für die Futtersuche. Und finden auf diese Weise zum Museumsplein, wir wissen, die Sehenswürdigkeiten sind immer nur einen Spaziergang voneinander entfernt. Zwar ist es für irgendeinen Museumsbesuch zu spät, aber der Außenbereich des MoCo (Modern Contemporary) ist noch offen und bespielbar.Der Garten gefällt uns so gut, dass wir beschließen, morgen noch einmal zu kommen und uns auch die Dauerausstellung im Inneren anzuschauen.
Kurz darauf haben wir unsere erste und einzige Krise der kurzen Reise. Es gelingt uns nicht, die Fahrpläne des öffentlichen Nahverkehrs und die Restaurantansicht auf Maps übereinander zu legen, um die nun dringend gewordene Abendmahlzeit zu planen. Fünfzehn Minuten Bemühung auf zwei Smartphones, technische Widrigkeiten und Unterzuckerung bilden eine gefährliche Mischung, die wir auflösen, indem wir uns auf den Weg zur nächsten Metrostation machen. Wie so oft genügt es, in Bewegung zu sein, und die Schwierigkeiten lösen sich von selbst. Wir finden eine gute Pizzeria, müssen auch gar nicht viel nachdenken, denn wir waren ja kurz zuvor tatsächlich auf der Suche nach Pizza. Die Kellnerin hat viel um die Ohren, vergisst uns zunächst, hat aber nach der freundlichen Nachfrage so ein schlechtes Gewissen, dass sie uns später den Esspresso schenkt. Und, A.’s Pizza ist „Best-Pizza-ever“, meine ist Oberliga, der Abend gerettet. Es kann so einfach sein.
Zuhause noch die Online-Tickets für das MoCo gebucht, nicht weil es toll wäre online zu buchen, sondern weil es günstiger ist und man an der Warteschlange vorbei hineingelangt. Dafür ist man dann an seinen „Timeslot“ gebunden und wer ist das schon gerne, gebunden? Hmm …, wir vielleicht?
Ich wage die Aussage, dass wir nach zweieinhalb Tagen „Freiheit und Spontanität“ beide ganz froh waren, mal wieder eine Vorstellung davon zu haben, wo und wie ungefähr wir den morgigen Tag verbringen würden. Es klang auch im Gespräch so an, „nächstes Mal planen wir wieder etwas mehr“.
4. Tag, Donnerstag, Abreisetag
Wir sind beide früh wach, auschecken ist für elf Uhr angesagt, wir sind etwa eine Stunde früher fertig. Ich nutze die letzte Gelegenheit, den unbedingten Gestaltungswillen unserer Gastgeberin fotografisch festzuhalten.
Früher als geplant in Amsterdam zu sein ist ein Vorteil ist, denn wir müssen noch ein Frühstück jagen. Im Lokal unserer Wahl findet die Jagd bevorzugt mittels Smartphone und QR-Code statt, diesmal aber streikt Google-Lens, ich vermute, weil die QR-Codes auf den Tischen nicht genügend Kontrast bieten. Also installiere ich einen mir bekannten QR-Code-Reader, der aber leider veraltet ist (sagt er selbst), dennoch funktioniert und uns zur Seite leitet, auf der wir bestellen dürfen und das auch tun. Um dann laaange zu warten, endlich nachzufragen, und ja, also nein, da ist keine Bestellung von uns. Dann also doch Face-to-Face und Cash, total oldschool, das geht dann sogar richtig schnell.
Unser Timeslot beginnt um eins, wir sind etwas früher am MoCo und dürfen auch früher hinein. Das MoCo ist ein vergleichsweise kleines Haus in dem man nicht unbedingt Ausstellungsräume erwarten würde.Die Ausstellung ist auf mehrere, zum Teil sehr kleine Räume aufgeteilt und aufgrund des Besucherandrangs ist es ziemlich voll. Ich finde das verkraftbar, aber Kunstgenuss ist anders. Gezeigt wird moderne zeitgenössische Kunst, Modern Contemporary, wer hätte das bei dem Namen gedacht. Es wird mit mehreren wirklich großen Namen geworben, die dann aber etwas unterrepräsentiert sind. Sei’s drum, um unseren Amsterdamausflug mit etwas Kultur abzurunden und abzuschließen war der Besuch eine gute Wahl, mehr hätte auch mehr Zeitaufwand bedeutet und an diesem letzten Tag war Zeit eher knapp.
Gegen fünf Uhr nachmittags waren wir wieder am Auto und nach einer angenehm ereignislosen Heimfahrt waren wir um zehn wieder zuhause.