Die Sache mit dem Froschkönig

Neulich bin ich in der Bibliothek und komme in der literaturwissenschaftliche Abteilung an einem Lexikon der Märchenfiguren vorbei. Und weil ich eine gewisse Affinität zum – vielleicht sogar Identifikation mit – dem Froschkönig spüre und Zeit habe, schaue ich nach, was es zum Froschkönig zu wissen gibt. Denn vor nicht allzu langer Zeit hatte ich geschrieben: Nun ist die Sache mit dem Frösche küssen ja die, dass man den Prinz nur bekommt, wenn man auch mit dem Frosch zufrieden wäre. Nichts könnte falscher sein, musste ich lernen, zumindest wenn man alten Quellen glaubt. Die Fassung der Brüder Grimm erschien 1812 und lässt für romantisch verklärte Vorstellungen wenig Raum. Später erzähle ich davon mehr.

Die von mir bevorzugte und romantisierte Version der Erlösung durch einen Kuss entstand sehr viel später, vermutlich um sie kindgerechter zu machen. Vor allem aber fügt der Kuss ein moralisch-ethisches Element hinzu, er symbolisiert Akzeptanz und das Überwinden von Äußerlichkeiten, wir wenden uns inneren Werten zu. Wie schön!

Dabei geht schnell vergessen, dass bis zum Zeitpunkt des eingefügten Kusses keiner der Akteure durch besondere Moralität oder Empathie aufgefallen ist. Der Frosch möchte sich eine Dienstleistung in fast schon erpresserischer Weise durch materielle und körperliche Gefälligkeiten bezahlen lassen und die Prinzessin geht auf den Deal nur ein, weil sie die Absicht hat, ihn zu brechen. Letztlich besteht der König kompromis- und mitleidslos auf die Einhaltung der Absprache. Und dann, plötzlich, Akzeptanz und die Hinwendung zu inneren Werten, wer soll das glauben außer mir?

Nun, fast alle anderen, denn die meisten populären Adaptionen und Nacherzählungen verwenden das Kussmotiv. Ob in Kinderbüchern oder Märchenfilmen, der Prinz wird aus dem Frosch herausgeküsst. Ist einfach schöner so für uns Sensibelchen.

Frühere Zeiten und die zu transportierenden Wahrheiten waren härter. Und so geht es in den alten Fassungen weniger märchenhaft zu. Es bleibt die Doppelgestalt des Frosch-Prinzen, die Notwendigkeit seiner Erlösung aber ist unbekannt und als diese geschieht, ist sie zufällig und der eigentlichen Absicht entgegengesetzt.

Denn was geschieht ist ein Gewaltakt. Von den Zudringlichkeiten des Froschkönigs angewidert und dem Zwang ausgeliefert, einen unattraktiven Partner anzunehmen, obwohl sie dies nicht will, wirft die Prinzessin den Frosch gegen die Wand. Wut und Machtlosigkeit führen in einen aggressiven Ausbruch, wir dürfen eine Tötungsabsicht unterstellen. Die Widerwärtigkeit der Situation entlädt sich in einer abscheulichen Tat.

Und in diesem Gewaltakt vollzieht sich die Wandlung vom Frosch zum Prinzen. Zum Wie und Warum bekommen wir wenig erklärt, es ist und bleibt auch den kundig interpretierenden Lesern magisch-rätselhaft. Prinz und Prinzessin werden ein Paar, eine Heirat ist arrangiert. Wie in diesem Artikel wird auch im Märchen die Geschichte mit wenigen (vier!) Sätzen zuende gebracht. Zwischen „…, war er kein Frosch mehr“ und „…, wo sie heiraten sollten“ liegen 53 Worte. Manchmal kommt das Ende schnell und unerwartet, selbst wenn es nach allgemeiner patriachalen Einschätzung ein glückliches ist.

Es folgt näherungsweise unverbunden (und im gleichen Absatz eingeführt) die Geschichte des eisernen Heinrich, die sich dann ein paar Sätze (und sogar einen Vers) mehr Zeit nimmt. Der Prinz bekommt abschließend noch etwas Charakterisierung, es gibt zumindest einen Menschen, der ihn mochte und über seine Erlösung sehr froh ist, Heinrich. Vielleich doch kein ganz schlechter, der Froschkönig-Königssohn. Ende.

Da ist viel zu verkraften, wenn der mit dem Froschkönig identifizierte Mensch (also ich)  sich die endgültige Annahme seiner Froschhaftigkeit mittels eines Kusses herbeisehnt und dann lesen muss, dass das alles nur neumodischer Kram ist, eine Geschichte, die man Kindern erzählt, um sie vor der harten Realität zu bewahren.

Aber: Einmal Froschkönig, immer Froschkönig! Es gilt zu (er)klären, woran schon viele Interpreten sich versucht haben, nämlich wie der metaphorische Aufprall an der Wand zur Gestaltwandlung führt, wie der Frosch zu dem Prinzen werden kann, den die Prinzessin unter den schwierigen Bedingungen einer arrangierten Hochzeit doch noch märchenhaft gerne annimmt.

Komplexe Sache, das! Ich bin dran.


PS Und natürlich werde ich Euch zur gegebenen Zeit daran teilhaben lassen. Bis dahin empfehle ich, den Froschkönig in der Originalfassung der Gebrüder Grimm zu lesen, zum Beispiel hier auf den Seiten des Goethe-Instituts.

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