24862 – Mandala für Ursula


Bin gerade tief in meinen alten Tagebüchern. Das ist nicht nur gut, aber gelegentlich stoße ich auf Einträge, an die ich lange nicht dachte. So war mir wirklich nicht mehr bewußt, dass ich einige meiner Mandalas in den Tagebüchern vorskizziert habe. Und ich mag es sehr, meine Entwürfe mit den ausgeführten Arbeiten zu vergleichen. Nebenstehend der Entwurf vom 7.1.1990, oben die Ausführüng zwei Tage später.


Den Entwurf fand ich beim Bättern und habe dann sehr schnell beschlossen, ihn Euch zusammen mit dem ausgeführten Mandala zu zeigen. Und zwar deswegen, weil ich das Mandala einige Tage zuvor schon einmal in der engeren Auswahl hatte, dann aber davon Abstand nahm, weil es mir im unteren Teil zu dunkel war.

<O>

Soweit war ich im Text, meint: fertig.

Interessehalber und weil es so einfach war, habe ich im Tagebuch zwei Seiten zurückgeblättert, um zu sehen, was eigentlich unmittelbar vor diesem „dunklen“ Entwurf geschehen war. Denn ich ordnete mir diese Dunkelheit zu. Stattdessen stieß ich auf einen Zusammenhang, der – fast fünfunddreißig Jahre lang nicht erinnert – bis heute und eineinhalb Meter nah an mich heranreicht. Das halte ich für bemerkens- und beschreibenswert.

Bei meinem Feuerholz, also nahe dem Ort, an dem ich gerade sitze, liegt ein Bildband, der eine psychoanalytische Deutung des Märchens „Das Mädchen ohne Hände“ enthält. Und es liegt dort in großer Ambivalenz, es wurde erst kürzlich während meiner Bücherumräum-Aktion dorthin gespült. Eine oberflächliche Ansicht (erstmals wieder nach vielen Jahren) hatte mich abgeschreckt: zu grausam (ja wirklich, sogar als Märchen) und zu religiös im Ausgang und in der Ausdeutung. Aber so unglaublich schöne Illustrationen …, ich wusste nicht, ob ich mich davon trennen sollte oder nicht.

Auf den Seiten, die ich im Tagebuch aufschlug, las ich die lange vergessene Geschichte, wie ich zu diesem Band gekommen bin. Im Januar 1990 nahm ich regelmässig an einer Therapiegruppe teil, Ursula war eine Mitklientin, die sich das Leben nahm. Den Rest erzählt das Tagebuch:

3.1.1990
„Ursula ist tot. Seit heute Mittag wissen wir es sicher. Zuvor die starke Ahnung.

Heute Abend fuhr es in mir Achterbahn. Heftige körperliche Reaktion; schlecht war mir, wie selten in den letzten Jahren. Ich stand irgendwo zwischen Kotzen und Weinen. Kotzen konnte ich gar nicht, weinen nur wenig. Schlimm war, für den Zustand keinen Namen zu haben, in Gedanken all die Etiketten durchgegangen, die wir hier ständig angeboten bekommen: Trauer, Wut, Schmerz, Kränkung, Ohnmacht, nichts von all dem. Ohne Namen..

Schlimm auch, zu bemerken, dass es nicht half, eine Schulter, eine Hand angeboten zu bekommen. Das “stille Toben“ blieb in mir. Irgendwann war ich dann müde, oder besser: ich wollte in mein Bett […]. Bin schnell eingeschlafen und ca. eine dreiviertelstunde später wieder aufgewacht.

Nach dem Aufwachen geht es mir wieder besser. Habe mir unsere Ecke mit Kerzen, Musik und Tagebuch eingerichtet, schreibe und spüre, dass das so richtig ist. […]

The winds fell 
and there came a great calm

Bleibt mir, morgen in der Gruppe noch Ursula’s “Abschiedsgeschenk” anzusprechen. Sie hat mir ein Buch ausgeliehen, ein Märchen und dessen tiefenpsychologische Ausdeutung, das “Mädchen ohne Hände”. Ich glaube tatsächlich, dass sie es mir geschenkt hat, denn sie hat es mir auf so unbestimmte Art und Weise geliehen, wie es möglich war, ohne mich argwöhnisch zu machen. Ich solle es nehmen, lesen wann ich wolle und auch ins Wochenende mitnehmen, mir keine Gedanken darum machen, wann ich es ihr zurückgebe. All das nicht mit diesen Worten, aber mit dieser Botschaft.

Trotzdem brauche ich noch von außen die Bestätigung, dass ich es wirklich behalten darf, das andere das auch so sehen, dass ich nicht irgendwelche Erben betrüge.

Kern der Ausdeutung und Ende des Märchens nach langer und schmerzensreicher Geschichte ist die Aussage, dass wir alles (ALLES) nur aus Gottes Gnade bekommen. Wenn wir etwas von Menschen bekommen, ist dies immer zu wenig oder wendet sich ins Gegenteil. Es sei denn, diese Menschen sind Mittler oder Überbringer göttlicher Gnade.

Soweit mein Verständnis der Geschichte nach erster und oberflächlicher Lektüre. Ich werde sie sicher noch mal genauer lesen. Irgendwie habe ich das Gefühl, mit dem Buch eine wichtige Botschaft hinterlassen bekommen zu haben; so als hätte sie mir überreicht, was ihr nicht mehr helfen konnte, ihr aber wertvoll genug erschien, um es in verständige Hände weiterzugeben.“

Es folgt im Tagebuch die oben gezeigte Skizze

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