Nur in der Fremde …

1.11.1998, 27. Reisetag, 5. Brief

Liebe H, lieber M., liebe Ha.,

morgen ist ein besonderer Tag in zweifacher Hinsicht. Erstens ist mein Geburtstag und zweitens beginnt morgen die Workcamp-Zeit, die sicher (und hoffentlich) ganz anders sein wird, als es die zurückliegenden vier Wochen waren.

Vier Wochen bin ich nun schon in diesem Land unterwegs, Zeit genug für einen ersten Eindruck. Man sagt, man müsse dieses Land lieben oder hassen, dazwischen gäbe es nichts. Das scheint mir eine Vereinfachung, ich jedenfalls bin noch unentschieden. Und das allein schon deshalb, weil es hier so vielfältig ist. Nehmt nur die Landschaft, ich war in grün-saftigen Bergen, ich war in der Wüste, ich war in fruchtbarem Flachland und zum Schluss in einer Gegend, die von alldem etwas hatte, hügelige Ödnis mit Feldern zwischendrin.

Und auch der Menschenschlag, der diese Landschaften bewohnt, unterscheidet sich genug voneinander um Vorlieben oder Abneigungen ausbilden zu können. So einfach ist das also nicht mit dem Entweder-Oder.

[…]

2.11.1998

[…] Gefeiert habe ich im SCI Büro. Es gab einen kleinen Geburtstagskuchen und eine Kerze und drei furchtbar falschsingende Inder. Der Kuchen schmeckte fast deutsch und so etwas ist hier schwer zu finden, dazu gab es Kaffee, der gut zubereitet fast noch schwerer zu finden ist. Von daher war das „Fest“ ein voller Erfolg

Abends bin ich dann zur Jugendherberge, wo ich mich mit Das (dem Junggesellen, der mich eingeladen hatte) verabredet hatte. Er war wieder mit einer Schulmission unterwegs. Es hat gut getan, mit jemandem zu reden, den man schon kennt, wo es sich ein bisschen wie Freundschaft anfühlt. Zum Abschluss hat er mich eingeladen, ihn morgen zusammen mit einem Bus voller englischer Teenager und deren Lehrer nach Agra zu bekleiden und den Taj Mahal anzuschauen. Ich konnte das annehmen, weil morgen ein SCI-freier Tag ist. Und ich freue mich schon darauf.

Na und jetzt verbringe ich den Rest meines Geburtstages mit euch, indem ich euch diesen Brief schreibe.

[…]

Küsse
Günther

TRIO DIO MIO

eingestellt am 14.7.2023

1. Allgemeine Beschreibung

Erstmals aufgeführt 1986 auf dem Geburtstag einer Freundin. Helen war damals mit Manuel schwanger, deswegen „Trio“. Letzer Auftritt bei Manuels Geburtstagsfest 1994, diesmal mit Manuel als aktivem Mitglied des Trios.

TRIO DIO MIO arbeitet mit Clownerie und Äquilibristik, der Kunst, im Gleichgewicht zu bleiben. Den Kern der Nummer bildet ein Konflikt zwischen den zunächst ganz an traditionelle Sehgewohnheiten angepaßten Darstellern (Mann dominant und aktiv, Frau als Zubringerin der Requisiten), dem Akteur und der Gehilfin.

Der Konflikt der beiden spitzt sich im Verlauf der Nummer zu und führt dazu, daß die Gehilfin, anfangs nur „unzulänglich“ nun beginnt, die Vorführungen des Akteurs zu sabotieren.

Die anfänglichen Rollenzuweisungen lösen sich auf oder können nicht mehr durchgehalten werden. Die „Lächerlichkeit“ des Akteurs ergibt sich daraus, daß er an seiner Rolle festhält, er versucht den Konflikt zu „überspielen“, geht ihm etwas schief ist es „Absicht“ oder die Schuld der Gehilfin.

Die „lustige“ Gehilfin wiederum ist die Sache sehr schnell leid und wendet ihre Aufmerksamkeit vom Akteur ab und dem Publikum zu. Zusammen mit dem Publikum hat sie ihren Spaß an den Zwangslagen des Akteurs, die zum Teil durch sie aktiv hervorgerufen wurden.

Sie geht zunehmend ihre eigenen Wege, wenn sie nicht gebraucht wird (manchmal auch dann, wenn sie gebraucht wird) oder versucht sich selbst in der Handhabung der Requisiten.

Soweit die Kern-Situation; um zu ihr zu kommen gibt es verschiedene Intros und auch um sie gegen Ende der Nummer aufzulösen haben wir, abhängig von innerer und äußerer Situation, verschiedene Möglichkeiten gefunden.

2. Ein Spiel mit Bildern und Worten

„Clownwerie und Äuilibristik“; Helen ist der Clown (eigentlich sogar der Meta-Clown, da sie in einer Clownsnummer, in der ohnehin alle Clowns sind, als Clown ausgewiesen wird), ich bin der Künstler, der trotz aller Sabotage von Seiten dieses Clowns versucht, sein Gleichgewicht zu halten (und seinen Spaß in Klammern wie der vorhergehenden findet). Manchmal empfinde ich es wirklich so: Helen bedroht mein inneres Gleichgewicht. Ich muß dann irgendetwas tun, um es zu halten bzw. wiederzufinden

Im Moment ist dieses „irgendetwas“ der Bauwagen. Die Metapher des bedrohten Gleichgewichts findet sich übrigens nocheinmal auf einer etwas anderen Ebene: Während ich versuche mein Gewicht zu halten erliege ich ständig den Versuchungen eines gutsortierten und bekochten Haushalts, so daß ich, um nicht zuzunehmen, mich am Bauwagen extrem knapp halten muß – und kann!

Aus der allgemeinen Beschreibung wissen wir, daß der Akteur dazu neigt, die Schuld am eigenen Scheitern der Gehilfin zuzuschreiben. So auch hier, wenn ich zuhause mein Gewicht nicht halten kann ist Helen Schuld (übrigens werde ich gerade zu einem Stück Zwetschenkuchen gerufen!). Wir wissen aber auch: Manchmal sabotiert sie wirklich.

Was ist mit den ach so brüchigen Rollenzuweisungen? Wir spielen damit, daß sie nicht zu halten sind bzw. nicht gehalten werden.

Das ist ein Teil, den ich in die Nummer eingebracht habe. Aber nicht deshalb, weil mir meine dominante Rolle streitig gemacht wird, sondern mehr deshalb, weil ich glaube, sie ohnehin nicht ausfüllen zu können. Ich trage schwer an jeder Verantwortung (z.B. auch für die Kinder) weil ich eine Neigung zum Perfektionismus habe, mir eigentlich nie gut genug bin. Diesem Perfektionismus kann ich in der Spielsituation entgehen, weil es zum Aufbau der Nummer notwendig ist, daß etwas schiefgeht. Der Einfall mit den engen Ringen hat seinen Ursprung in der fixen Idee, zu dick zu sein. Der Akteurs-Charakter ist entlang meiner eingebildeten oder wirklichen Schwächen entwickelt.

Dort, wo die Nummer wirklich spannend ist, kommen einige meiner Stärken (oder was ich dafür halte) hervor, nämlich Improvisationstalent und die Gabe, mir in letzter Konsequenz doch selbst helfen zu können. Zwar sind dazu einige Verrenkungen nötig, die Sache ist alles andere als sicher und dauert unverhältnismäßig lange, aber es geht auch alleine. Jeder, der mir dabei hätte zusehen können, wie ich den ca. 35 Kilogramm schweren Fernseher ohne Leiter und alleine an Ketten an die Decke gehängt habe, wüßte sofort , was ich meine. Entwickelt hat sich mein Improvisationstalent aus einer Schwäche: Ich frage nicht gerne um Hilfe.

Warum nicht? Die Nummer zeigt ja sehr genau, was passiert, wenn man auf andere angewiesen ist! Die anderen tun die Dinge nicht so, wie sie getan werden sollten, reagieren empfindlich auf Kritik, gehen eigene Wege oder konkurrieren und letztendlich muß man sich doch wieder alleine helfen.

Nun zu Helen und ihrem Clowns-Charakter. Sowenig wie wir im Spiel zusammenarbeiten können, können wir es in der Vorbereitung des Spiels, d.h. der Realität. Diese Clownin hat einfach zu viele Ideen und ist zu ungerichtet in der Entfaltung ihrer Ideen; eben immer für eine Überrassschung gut. Sie bringt es auch dann fertig, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wenn sie „nicht dran“ ist. Sorgfältige Vorbereitung, Struktur und Absprache liegt ihr nicht.

Doch Achtung, sie ist nicht die Chaotin, als die sie nach meiner Beschreibung erscheinen könnte. Das beschriebene gilt nur in Beziehung zu mir!

Wie das mit den eigenen Wegen und der Aufmerksamkeit ist, die statt dem Akteur plötzlich dem Publikum gilt, darüber bin ich unsicher. Bekomme ich nicht genug Aufmerksamkeit? Nein, eigentlich ist es genug. Helens eigene Wege? Höchstens der zur Heilpraktikerin.

Und überhaupt: Zwei Seiten sind genug. Ich spare mir die Darstellung der verschiedenen Intros und Lösungen und verabschiede mich mit freundlichen Grüßen.

Tanztheater Maulbronn

Während meines Anerkennungsjahres zum Sozialpädagogen lebte ich mit meiner Familie in Maulbronn. In den Jahren zuvor war ich immer Mitglied in einer Laien-Akrobatik-Gruppe gewesen, anfangs in Lich, später auch für eine Übergangszeit in Frankfurt. In Maulbronn gab es nichts vergleichbares, aber es gab eine Tanztheatergruppe auf Vereinsbasis, die auch einmal im Jahr ein Stück aufführte. Das eine Jahr, das ich dabei war, war ein eher schwieriges, das Stück wurde – bestmögliche Formulierung – schlecht besprochen.

Mein Beitrag fand im Rahmen einer Jahrmarktsszene auf dem Rollbrett statt. Das beherschte ich recht gut damals, da ich mich damit beim Schreiben der Diplomarbeit regelmäßig erholt oder abgelenkt hatte. Später gab es im Rahmen von Festen auch immer mal wieder kleine Aufführungen.