24906 – Zielvorstellungen


Heute probieren wir etwas Neues. Ich habe für die Kategorie g.mailt mehr oder weniger willkürlich eine Mail aus dem Schriftwechsel mit F² ausgewählt, einem Freund aus sehr, sehr frühen Tagen, den ich um 2009 herum kontaktierte und mit dem sich dann eine spannende Korrespondenz entwickelte, in deren Verlauf wir uns gegenseitig unser Leben erzählten.


Mail vom 18.1.09, Betreff:  Interessante Fragen

Hallo F²,
fühle mich gerade stark genug, mich „auch interessanten Fragen“ zu widmen 😉 . Zitat: Damit kommen wir zu Fragen, die auch interessant sind, was erwartest Du für Deine kommenden noch verbleibenden Jahre […]? Das fragst Du vermutlich in aller Unschuld.

Jetzt, da ich versuche eine Antwort auf Deine Frage zu finden, bemerke ich, dass sie sich auf verschiedene Weise auffassen lässt. Erfragst Du meine Erwartung für die nächsten Jahre im Sinne einer Vermutung, wie ich die nächsten Jahre verbringen werde? Oder versteckt sich hinter der Frage nach meinen Erwartung auch die nach wie-auch-immer gearteten Zielvorstellungen? […]


Zielvorstellungen – beziehungsweise das Fehlen von Zielvorstellungen – ist DAS Thema überhaupt! Ich erinnere ein Foto, da stehst Du vor meinem ersten Auto (leider mit dem Rücken zum Fotografen). Dieses Auto steht für die sehr frühe Erkenntnis, dass wir nicht über Dinge, über Besitz glücklich oder doch wenigstens zufrieden werden können. Ich hatte mir viel versprochen von dem Zeitpunkt, da ich endlich ein Auto hätte. Und dann? Mit den Worten meines Lieblingslehrers: „Raider oder Twix, geändert hat sich nix!“ Rückblickend denke ich, dass diese Erkenntnis zu früh kam und auch jugendlich-kurzschlüssig war, sie hat mich davon abgehalten eine materielle Basis für mein Leben zu schaffen.

Geld oder Dinge zu haben war einfach keine Zielvorstellung, von der ich mir irgendwas erhoffte. Vielleicht erinnerst Du Dich, dass ich es ablehnte Kfz-Mechaniker zu werden, obwohl mich das mittelfristig zum Junior-Chef der Autowerkstatt meines Onkels gemacht hätte. Kurz: Materielles konnte mich noch niemals motivieren und ich habe mich selten unterversorgt gefühlt (eigentlich nur, als ich nicht für mich, sondern für die Kinder etwas mehr Geld gebraucht hätte).

Und wie steht es mit Ideen als Motivation? Schon besser, trotzdem hat sich auch in Bezug auf motivierende Ideen Ernüchterung eingestellt. Langfristig haben sie alle nicht durchgetragen. Anthroposophie, feste Partnerschaft, Gemeinschaftsleben, Basisdemokratie und Wagenleben, Buddhismus verschiedener Geschmacksrichtungen; fast nichts, das mich phasenweise begeistert
hat, habe ich nicht wieder verworfen oder doch so stark relativiert, dass es zur Motivation nicht mehr ausreicht.

Letztlich gibt es nur eines, das mich motiviert: Anerkennung, ernst gemeint und offen ausgesprochen. Das heißt zugleich, dass mich Menschen motivieren. Zumindest so lange, wie sie mir die tägliche Dosis Anerkennung nicht verweigern. Gib mir diese Droge und ich springe durch jeden Ring. Verweigere sie mir und ich gehe freudig-gekränkt in die Einsamkeit zurück. Es ist nicht immer Spaß, so zu leben und zu funktionieren, aber es ist, wie es ist.

So, die letzten drei Absätze dienen der ausführlichen Illustration einer einzigen Aussage: In der Vergangenheit haben sich mindestens vier Therapeuten und etliche besorgte Freunde ohne Ergebnis darum bemüht, mir irgendein Ziel abzuringen, dem nachzugehen ich bereit sei. Was auch immer, es ist nicht „überzeugend“. Dieses Wort, „überzeugend“, benutzt Doris Lessing in einem ihrer Romane um damit mögliche Liebesbeziehungen zu klassifizieren, manche sind es und andere nicht. Und welche uns überzeugen ist nicht immer rational nachzuvollziehen, manchmal sogar ausgesprochen unvernünftig oder schädlich. Mir geht es so mit Zielen, ich finde sie einfach nicht überzeugend. Der Schaden liegt bei mir, jeder weiß, dass Ziele Ausrichtung geben und helfen, ein vernünftiges Leben zu führen.

Am Besten fühle ich mich immer im näherungsweise sinnfreien Raum. Meditation ist so was, führt zu nichts und muss das auch nicht (obwohl mir da manche sehr widersprechen würden). [….] Oder lesen, wenn es nicht dem Studium dient. Irgendwas technisches auseinander nehmen um zu schauen, was drin ist (24925), vielleicht sogar zu verstehen, wie es funktioniert. Kunst anschauen wenn ich nicht drüber reden muss. Lange Emails schreiben, in denen ich mehr mir als irgendjemandem sonst erkläre, wer ich bin.

Ach ja, eigentlich auch lang genug für heute. […]

Liebe Grüße
G.

24905 – Wort(e) des Tages

Heute fällt es mir sehr schwer, etwas für Euch – oder auch nur für mich – zu finden, das meinem Energielevel entspricht. Es gäbe Dinge zu zeigen, auf die ich Lust habe, die aber zu aufwändig zu erläutern wären. Oder andere, bei denen die Fotos mir nicht passen. Ach, und überhaupt …

Also, denke ich mir, ein Tag für das „Wort des Tages“. Ein Beitrag mit nur einem Wort. Ihr erinnert Euch, solche Beiträge habe ich angekündigt für Tage wie diesen. Dann bemerke ich, wie schwer mir das fällt, dieses Wort einfach dort stehen zu lassen, es bedeutet ja etwas im Kontext dieses Tages. Ich möchte erläutern, erklären, mir fällt dieses und zusätzlich noch jenes dazu ein, ein Text böte sich an, aber andererseits ist mir das alles viel zu viel. Energielevel, siehe oben.

Was ginge, so auf die Schnelle, ist ein kleiner Verweis auf den Blog, in dem mir das Konzept „Wort des Tages“ zum ersten und auch einzigen Mal begegnet ist. Denn Ehre, wem Ehre gebührt: Wildgans’s Weblog. Die Idee, notfalls nur ein einziges Wort zu bloggen, ist unter dem Aspekt der Gewohnheitsbildung genial. Schon sitze ich als bloggender Mensch vor dem Gerät und blogge. Und wie Ihr seht, sehr viel mehr als nur ein Wort.

Jetzt ist es natürlich kein Wort mehr, ist plural, Worte. Geht unter konzeptionellen Gesichtspunkten gar nicht! Oder schon, ist dann aber ein anderes Konzept. Damit könnte ich selbstironisch umgehen, aber dafür, das gut umzusetzen, habe ich heute nicht die Energie.

Es bleibt bei dem Verweis auf Wildgans und nächstes Mal, wenn es ein Wort-des-Tages-Tag ist, kann ich ein Sternchen* hinter das Wort machen, und auf diesen Beitrag hier verlinken. Und es ist immer noch ein Wort, genial.

Und ehrlich gesagt, war mir das jetzt viel zu viel.

¯\_(ツ)_/¯

24904 – Noch mehr Senryū(s)


Alte Bauwagen
stehen auf einer Wiese
nahe der Großstadt

Gewölbte Dächer
rauchende Ofenrohre
schon wird mir wärmer

Nachtkalte Dächer
der frischgefallene Schnee
bedeckt die Wagen

Nur wenig später
tropft von beheizten Wägen
verwandelter Schnee

Innere Einkehr
im vierrädrigen Tempel
nichts von Heiligkeit

Senryū (24857), Schlangenzahl, irgendwann zwischen 1993 und 1998

 

24903 – Naturalistisch zeichnen können, das wär’s

Ein letzter Griff in die Kiste mit den alten Sachen, jetzt ist alles gesichtet. Es gab eine kurze Zeit 1987, da habe ich versucht mit Hilfe eines Buches (Wo könnte das denn noch sein?) naturalistisch zeichnen zu lernen. Es gab Übungen, die habe ich brav eine nach der anderen gemacht, und wenn ich mir heute so die Ergebnisse anschaue, frage ich mich, warum ich mit dem Üben aufgehört habe.