Weihnachten in Kalkutta

eingefügt 24.12.2019

24.12.1998, 80. Tag, Donnerstag

Frühstück im Blue Sky, Müsli und schwarzer Kaffee. Habe lange (durch)geschlafen, nachdem ich mich in der Nacht ausgeschissen habe (Durchfall). Bin nicht ganz in Ordnung, Husten und sehr leichtes Fieber. Werde mich jetzt nicht davon stören lassen, sondern mich gut ernähren und hoffen, dass es vorüber geht.

Nun ist es kurz vor 12:00 und ich werde meine Pläne für den Sightseeing-Tag machen.

<O>

Botanischer Garten
Erst zum Hooghli spaziert und mit der Fähre übergesetzt. Danach mir den Luxus eines Taxis geleistet um hinzukommen. Rückweg mit dem Bus für 1/14 des Fahrpreises.

Der botanische Garten ist angenehm ruhig, ein Platz zum Entspannen, was mir dort auch gelungen ist. Einfach nur darin herumgelaufen, die Pflanzen waren zum Teil interessant, für mich aber doch eher nebensächlich. Wichtig war die Ruhe, keine Autos, kein Gehube, keine Verkäufer. Für den Weihnachtstag genau richtig, beschauliches Spazierengehen.

25.12.1998, 81. Tag, Freitag
Den Weihnachtsabend im Mutterhaus von Mutter Theresa verbracht. Ab 8:00 abends eine Prozession mit Kerzen von der Heilsarmee zum Mutterhaus, Dauer circa 45 Minuten. Dort ein Krippenspiel, aufgeführt von den westlichen Volunteers mit netten, ungewollt humoristischen Einlagen.

Ab 22:00 dann eine Christmesse, deren Aufsteh- und Wieder-Hinsetz-Rituale mir etwa so unverständlich waren wie ein Kali-Tempel. Nach der Messe gab’s Kakao (geil) und Gewürzkuchen und eine Banane und eine Karte mit einem Spruch.

Zurück wollte ich eigentlich schnell und unkompliziert, aber irgendjemand hatte Fanis Markenturnschuhe mit seinen verwechselt (hoffentlich) und sie führte lange Zeit am Ausgang eine Fußkontrolle durch.

Zurück in der Heilsarmee dann noch eine mit Süßigkeiten gefüllte Socke auf dem Bett. Richtig nett.

Dennoch, irgendwie ist es unmöglich diesen Tag auf angemessene Weise zu begehen. Während der Messe hatte ich den Wunsch „zuhause“ geblieben zu sein (das war einfach nicht meine Art von Veranstaltung). Wäre ich aber zuhause geblieben, hätte ich dort gesessen und mich gefragt, warum ich mit diesem besonderen Tag nichts Besseres anzufangen weiß. Ich kann diesen Tag nicht begehen und ich kann ihn nicht ignorieren.

Vor diesem Hintergrund bin ich mit meiner Wahl bei Mutter Theresa zu feiern eigentlich ganz zufrieden. Ich schaue halt bei „fremden“ Brauchtum zu und bin so nah dran, wie mir möglich ist.

Aber natürlich ist es nicht der christliche Hintergrund, der das Fest so schwierig macht. In Deutschland ist Weihnachten das „Fest der Familie“ und das ist das, was in mir all diese widerstreitenden Gefühle auslöst, Traurigkeit und Bitterkeit und manchmal auch Aggression.

[…]

Frohe Weihnachten!

Nur in der Fremde …

1.11.1998, 27. Reisetag, 5. Brief

Liebe H, lieber M., liebe Ha.,

morgen ist ein besonderer Tag in zweifacher Hinsicht. Erstens ist mein Geburtstag und zweitens beginnt morgen die Workcamp-Zeit, die sicher (und hoffentlich) ganz anders sein wird, als es die zurückliegenden vier Wochen waren.

Vier Wochen bin ich nun schon in diesem Land unterwegs, Zeit genug für einen ersten Eindruck. Man sagt, man müsse dieses Land lieben oder hassen, dazwischen gäbe es nichts. Das scheint mir eine Vereinfachung, ich jedenfalls bin noch unentschieden. Und das allein schon deshalb, weil es hier so vielfältig ist. Nehmt nur die Landschaft, ich war in grün-saftigen Bergen, ich war in der Wüste, ich war in fruchtbarem Flachland und zum Schluss in einer Gegend, die von alldem etwas hatte, hügelige Ödnis mit Feldern zwischendrin.

Und auch der Menschenschlag, der diese Landschaften bewohnt, unterscheidet sich genug voneinander um Vorlieben oder Abneigungen ausbilden zu können. So einfach ist das also nicht mit dem Entweder-Oder.

[…]

2.11.1998

[…] Gefeiert habe ich im SCI Büro. Es gab einen kleinen Geburtstagskuchen und eine Kerze und drei furchtbar falschsingende Inder. Der Kuchen schmeckte fast deutsch und so etwas ist hier schwer zu finden, dazu gab es Kaffee, der gut zubereitet fast noch schwerer zu finden ist. Von daher war das „Fest“ ein voller Erfolg

Abends bin ich dann zur Jugendherberge, wo ich mich mit Das (dem Junggesellen, der mich eingeladen hatte) verabredet hatte. Er war wieder mit einer Schulmission unterwegs. Es hat gut getan, mit jemandem zu reden, den man schon kennt, wo es sich ein bisschen wie Freundschaft anfühlt. Zum Abschluss hat er mich eingeladen, ihn morgen zusammen mit einem Bus voller englischer Teenager und deren Lehrer nach Agra zu bekleiden und den Taj Mahal anzuschauen. Ich konnte das annehmen, weil morgen ein SCI-freier Tag ist. Und ich freue mich schon darauf.

Na und jetzt verbringe ich den Rest meines Geburtstages mit euch, indem ich euch diesen Brief schreibe.

[…]

Küsse
Günther

Spanien, Costa Dourada, Salou

Dieser Artikel wird noch ausgebaut. Was es schon gibt:


[…]

[…]

<O>

Zu diesen Bildern gibt es eine Geschichte, die Ihr mit etwas Pech auch in der Zeitung hättet lesen können. Jahre später habe ich sie einmal in einer Email erzählt.


28.07.09, Betreff:  RE Dies und das

Hi F²,

[…]

Du fragst nach meinen Erfahrungen mit dem Bergwandern. Nun, fast keine aber Lust drauf. 1998 war ich mit einer Gruppe von Bekannten und weniger bekannten Menschen in Spanien (Salou, ich müsste auf der Karte nachschauen, wie die Gebirgskette hieß, die sich wenige Kilometer landeinwärts erhob). [Dort] kam ich zu meiner ersten Bergwanderung, die mir ausgesprochenen Spaß machte und auch einige Passagen enthielt, wo wir nicht nur wanderten, sondern an eingeschlagenen Eisen kletterten, wie man das auf einer Leiter tut. Seitdem habe ich Bergwandern auf der Liste potentiell lohnender Aktivitäten.

Im Jahr darauf wollten wir in weniger fachkundiger Zusammensetzung das Vergnügen „freestyle“ wiederholen und sind aufs Geradewohl in die Landschaft gefahren. In einem Anfall von Übermut und mangels vernünftiger Wege beschlossen wir in einem trockenen Bachbett „etwas aufzusteigen“. Nach einiger Zeit kamen wir an eine Stufe im mittlerweile tief eingegrabenen Bachbett, wo ein Wasserfall sein musste, wenn der Bach Wasser führte. Diese Stufe lies sich mit wenig Aufwand überwinden, wenn wir auch etwas klettern mussten. Bald kam eine zweite gleichartige Stufe, diesmal hatten wohlmeinende Menschen ein Seil hängen lassen, mit dessen Hilfe die schwierigsten Stellen zu bewältigen waren. Die Mutigsten probierten sich aus, die weniger Mutigen sahen, dass es ging und folgten. Neun Leute, zum Teil in Straßenschuhen und mit lustig schlenkernden Umhängetaschen, überwanden also auch diese Stufe, unausgesprochen wissend, dass sie diese Stufe nicht abwärts klettern könnten. Ahnst Du es schon? Natürlich kam die nächste Stufe und sie war steiler als die beiden vorangegangenen. Wir saßen in einem tiefen Hohlweg fest, vor und hinter uns jeweils ein trockener Wasserfall. Es war eine dieser Situationen, von der du in der Zeitung liest und dich fragst, wie neun – so viele, denkst du kurz –  normalerweise vernünftige Menschen in so etwas hineingeraten und dir sicher bist, dir selbst würde so etwas niemals geschehen.

Irgendwann begannen wir die steilen und hohen Seitenwände des Hohlweges hinauf zu klettern, von allen Möglichkeiten diejenige, die uns am aussichtsreichsten erschien. Dass an diesem Tag nichts geschah und wir nach einiger Anstrengung auf einen Weg zurück fanden, ist einfach nur unserem Glück zu verdanken. Einmal rutschte einer von uns eine Strecke von fünf oder sechs Metern ab und wurde nur durch einen einzel stehenden Baum aufgehalten. Ein anderes Mal mussten wir eng mit dem Rücken an die Bergwand gepresst eine Stelle passieren, an der es fünf Zentimeter vor unsern Fußspitzen (gefühlte zweieinhalb) einfach nur bergab-bergab-bergab ging. Zwei Schritte seitwärts nur, aber nach dem ersten hatte ich einen leisen Anflug von Panik, den ich unterdrücken konnte, weil es nur zwei Schritte waren und keine drei oder vier. Eine Erfahrung, die ich nicht wiederholen möchte. Seitdem habe ich Bergwandern auch in der Liste der Aktivitäten, auf die man sich gefälligst vernünftig vorbereitet.

Konkret, solltest Du demnächst einen Wanderkameraden suchen lohnt die Anfrage. Meine Wanderschuhe habe ich mehrere Jahre nicht mehr getragen und sie haben das Geld, das sie kosteten noch lange nicht „wiedereingewandert“. Ob die Alpen oder der Jakobsweg ist zweitrangig. Vermutlich werden Zeit und Geld die wichtigere Rolle bei der Entscheidung spielen.

[…]

Genug für heute,
Fühl Dich zur Semi-Spontantät ermutigt,
Liebe Grüße
G.


to be continued

„Mein Wagen, also der …“

1997 sind G&M gemeinsam in einen LKW gezogen und ich habe M’s Wagen und G’s Fahrgestell übernommen. Bis ’98 war auf dem Fahrgestell ein Wagen gewachsen, der zu 95 % aus wiederverwerteten Materialien bestand, in meinem Sprachgebrauch der „Experimentalwagen“. M’s ehemalige Hütte ist bei mir der „Kinderwagen“ weil ich ihn als Übernachtungsmöglichkeit für meine Kinder ausbaute. Meinen ersten Wagen nenne ich in der Regel den „blauen Wagen“.

3 Wagen

Jetzt, da wir die Termini geklärt haben, von links nach rechts: Experimentalwagen, Kinderwagen und blauer Wagen.