Kennt Ihr das, wenn Ihr Entscheidungen treffen müsst, die Ihr eigentlich gar nicht treffen wollt. Etwa weil Ihr wisst, dass es Euch ganz viel Arbeit kostet, wenn Ihr die richtige Entscheidung trefft. Und Ihr die richtige Entscheidung auch kennt, aber die falsche wäre so bequem, Ihr müsstet genau nichts ändern und das ist es ja, was wir in den meisten Fällen wollen, nichts ändern. Genau so eine Entscheidung hatte ich in den letzten zwei Tagen zu treffen. Und dann hat mir ein gütiges Schicksal doch noch einmal den Arsch gerettet. Und das war so:
Ich arbeite in meinem Lieblingsprojekt gerade an der Fensterfront. Diese Front besteht aus (mindestens) sieben alten, schon lange eingelagerten Doppelglasscheiben, die auf kunstvolle Weise neu angeordnet werden. Diese neue Anordnung zu finden war nicht einfach und einmal gefunden, habe ich mich auch sofort in diese Lösung verliebt.
Mein Fehler war, dass ich die Scheiben vorm Planen und Verlieben nicht geputzt hatte. Sagen wir, ich hatte ein etwas idealisiertes Bild von diesen Scheiben. Anfangs wußte ich das nicht und die Begegnung mit der Realität meiner Scheiben vollzog sich in mehreren Schritten. Zunächst entdeckte ich, dass eine der Doppelglasscheiben sich an der sie umgebenden Aluminiumleiste gelöst hatte und es an dieser Stelle sogar ein Pflanze geschafft hatte hineinzuwachsen. Ich erwog und versuchte diese Scheibe komplett vom Alurahmen zu lösen, zu reinigen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzusetzen. Dieser letzte Schritt – der aus verschiedenen Gründen ohnehin nur ein fragwürdiges Ergebnis hervorgebracht hätte – fiel dann aus, weil sich zeigte, dass die Scheibe an mehreren Stellen leichte Verfärbungen bekommen hatte, die ich nicht „wegreinigen“ konnte. Ich beschloss, eine andere Scheibe zu finden, notfalls auch neu zu kaufen.
Ich bin jemand, der an solchen Stellen im Prozess gerne die Augen verschließt und erstmal weitermacht. Bloß nicht zu genau hinschauen, wird schon klappen, Probleme werden gelöst, wenn sie entstehen. Im Rückblick weiß ich, das wäre der Moment gewesen, genau hinzuschauen, meint: einfach mal alle fucking Scheiben zu reinigen. Denn, Ihr ahnt es, mehrere Arbeitsschritte und Wochen später, stoße ich auf eine weitere, bis dahin ungeputzte Scheibe, die im Inneren Schlieren und Ablagerungen aufweist.
Es folgt der Teil mit dem Sich-etwas-schönreden. Da werden sowieso Gardinen davor sein. Und hey, das ist ein Bauwagenplatz hier, da muss nichts perfekt sein. Und der Gesamteindruck ist davon überhaupt nicht gestört. Ich sollte da nicht überkritisch werden. Wenn alles fertig ist, schaut da auch sonst niemand mehr hin.
Also nochmal ein paar Tage weitergemacht. Bis ich an anderer Stelle einen leicht zu behebenden Flüchtigkeitsfehler mache, im Arbeitsfluss gestört bin und in diese Lücke machtvoll der Gedanke eindringt, dass das so nicht geht. Wobei sich „das“ einerseits auf die Scheibe bezieht, nun schon die zweite von sieben, die eigentlich ausgetauscht gehört, und andererseits auf die Tatsache, dass diese gebrauchten Scheiben im Gesamtzusammenhang nur Sinn ergeben, wenn sie genau das sind, gebraucht. Mit neuen Scheiben, auch mit zweien von sieben, wäre der Entwurf ein anderer.
Es galt die Entscheidung zu treffen, es richtig zu machen und nicht von vorneherein einen kleinen Fehler einzubauen, von dem ich wusste, dass er mich den Rest meiner Tage stören würde. Auf der anderen Seite der Waagschale der geliebte Entwurf, der dann aufzugeben war, und einiges an bereits geleisteter Arbeit, die dann vollkommen umsonst gewesen würde. Und natürlich das Fehlen eines Plan B.
Und so, wie ich einerseits wusste, dass ich mich dafür entscheiden würde, es richtig zu machen, also neu zu beginnen, wusste ich andererseits, dass ich diese Entscheidung – abhängig davon, was mir als Plan B einfiele – vermutlich noch viele Male in Frage stellen würde. Zwei Tage lang war ich mit mir und der Welt sehr unzufrieden.
Heute morgen dann der Entschluss, mit der Suche nach weiteren gebrauchten oder zumindest verbilligten Scheiben zu beginnen. Zwei Adressen wollten wiedergefunden und dann kontaktiert werden. Zuvor wären diverse Maße aufzunehmen, um überhaupt zu wissen, was mir den nützlich sein könnte. Bei allem Unglück immer lösungsorientiert bleiben!
Während ich also so mit meinem Zollstock unterwegs bin, kommt mir plötzlich der Gedanke, dass doch diese bereits in meinem Wagen verbaute Scheibe …, also vielleich könnte ich mit der etwas anfangen, zumindest ausmessen sollte ich sie. Zeigt sich, sie hat genau (!) das Maß der verunreinigten Scheibe. Weil ich lernfähig bin, reinige ich die Scheibe, sie scheint in Ordnung. Einem unkomplizierten Austausch der beiden Scheiben steht nichts im Wege. Die Schlieren werden im Bauwagen nicht stören, sondern sich nahtlos ins Ambiente einfügen. Die Fensterfront wird makellosen Durchblick gestatten und in meinem Lieblingsentwurf ausgeführt sein. Stand jetzt ist die Welt wieder in Ordnung.
Ja, so war das.