Mittlerweile sind die vorgezogenen Jahresrückblicke fast schon eine Tradition, ebenso wie die Einleitung, die darauf hinweist, dass ich vorziehenderweise vermeide, inmitten der winterlichen Depression zurückzublicken. Andererseits ist so fast unvermeidbar, mit einem – bevorzugt heiteren – Blick auf die vorjährliche Verstimmung zu beginnen. Zugegebenermaßen ist mir das mit dem düsteren Jahresrückblick 2022/23 nicht gelungen, aber das war auch ein sehr besonderes Jahr und in diesem Jahr wird es besser, versprochen.
Dennoch, zum Vorjahresende gab es die gewohnte aktivitätsarme Verstimmung, die ich allerdings ab Mitte Dezember durch einen Ortswechsel etwas abfedern konnte. Ich durfte mich für vier Wochen in Me.s kleiner Berliner Wohnung einnisten und tun, was man in Berlin so tut. Und, fast wichtiger, ich durfte lassen, was man in Berlin so tut. Das ist der große Vorteil, wenn ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Zeit darf auch vertrödelt werden, der Nutzungszwang entfällt. Was dazu führte, dass ich „nur“ jeden zweiten Tag in der Stadt unterwegs war und mich damit gut ausgelastet und unterhalten fühlte.
Bei meiner Rückkehr Mitte Januar gab es dann nochmal einen stimmungsmäßigen Absacker, kurzzeitig auch mit heftigen Schlafstörungen, aber ab Mitte Februar war ich wieder halbwegs mit mir, der Welt und dem Zusammenspiel von beidem zufrieden. Ab Ende März ist alles wie es soll (im Rahmen der beschränkten Möglichkeiten).
Schon früh im Jahr hatte ich meine Unterschrift für den Verkauf der Wohnung meiner Mutter, die ich zu einem Achtel miteigne, gegeben. Die neuen Eigentümer hegten die Hoffnung, sie ab April beziehen zu können. Ich hegte die Hoffnung, ungefähr zu diesem Zeitpunkt einen Teil der Verkaufssumme überwiesen zu bekommen. Den größten Teil des Geldes wollte ich an meine Kinder weitergeben; aufgrund des schwierigen Verhältnisses zu meiner Mutter hatte und habe ich das Gefühl, dass es mir nicht wirklich zusteht. Den Kindern erzählte ich von meinem Vorhaben lange nichts, dann aber doch. Weil es ja nicht mehr lange dauern würde, bis die Summe verfügbar sei, auch für sie. Um es kurz zu machen, der Verkauf ist bis heute nicht abgeschlossen. Die Besonderheiten des Verkaufs durch die Betreuerin einer gesetzlich Betreuten verzögern den Vorgang an unerwarteten, vielleicht sogar formal unnötigen Stellen. Mich trifft an keiner Stelle irgendeine Verantwortung, dennoch habe ich den Kindern gegenüber ein schwieriges Gefühl und bedaure es, zu früh von meinem Vorhaben, sie zu beschenken, erzählt zu haben.
Ebenfalls länger als erwartet zog sich der Bau der Fensterfront im Dome hin, erst Mitte September wurde ich damit fertig, obwohl eine schon großzügig angepasste Planung vorsah, vor dem Urlaub im Juni fertig zu werden. Verantwortlich für die Verzögerung waren die guten Erfahrungen mit dem Bau der DIY-Doppelglasscheiben. Weil das nämlich so unerwartet gut ging, beschloss ich, auch um den Türrahmen herum kleine und größere Scheiben einzusetzen. Vor dem Einsetzen kommt das Bauen und bauen braucht Zeit.
So kam es, dass ich im Juni den Urlaub mit A. in Budapest nicht mit dem Gefühl eines abgeschlossenen Arbeitsschrittes beginnen konnte. Gut war es trotzdem und das ist auch hinreichend dokumentiert.
Nach Budapest wurde es dann erstmal ruhiger. Der Sommer findet mich meistens recht ausgeglichen. Ich bastelte so vor mich hin und war zufrieden. Diese Zufriedenheit mit dem eigenen Tun ist geblieben, obwohl mein Leben im August etwas unruhiger, vielleicht auch einfach nur lebhafter wurde. Was soll ein Leben auch tun, wenn es seinem Namen gerecht werden will?
Spätestens Anfang August, als ich einer spontanen Einladung folge und mit vielen anderen mir zumindest bekannten Menschen ein kleines Festival besuche, wird mir klar, dass es da eine Verliebtheit in mir gibt, der ich nachgehen sollte. Knapp drei Wochen später wissen und wollen wir mehr. Auftritt Tini, ich bin sehr froh. Eine intensive Zeit mit gegenseitigen Besuchen und viel Gespräch beginnt, gelegentlich machen wir einander Freude oder Angst. Mensch für Mensch (auf Festen auch mal gruppenweise) geben wir uns im Freundes- und Familienkreis als Paar zu erkennen, während wir versuchen, herauszufinden, was das für uns bedeutet. Ein bis heute anhaltender Prozess, in dem Spass und Anstrengung gelegentlich sehr nah beieinander liegen.
Im September beginne ich eine 1000-Kilokalorien-Diät, die ich auf vier Wochen begrenze und mit einem weniger extremen Nachlauf bis zu meinem Wunschgewicht auslaufen lasse. Zum Zeitpunkt dieser Niederschrift, Ende Oktober, hat das alles wunderbar geklappt und ich wähne mich stabil knapp unter 70 Kilo, auch die taillierten Hemden passen wieder. Und die zu eng gewordenen Hosen ebenfalls, alles sehr schön.
Im Oktober bin ich nochmals spontan unterwegs, diesmal nach Berlin zur Friedensdemo, ein medial wenig beachtetes und erstaunlich schlecht besuchtes Ereignis, das ich mit einem Aufenthalt bei Tochter H. und einem Besuch in Hamburg bei Sohn M. kombiniere. Auch das ist an anderer Stelle schon beschrieben.
In den letzten drei Wochen, es geht auf den Winter zu, wird es wieder ruhiger bei mir. Neben der Arbeit am Dome, der mich wie immer zuverlässig aktiv hält, liegen bei mir einige kleinere Basteleien, überwiegend aus dem textilen Sektor, herum. Der Einfluss von Tini macht sich bemerkbar. Es geht mir gut damit.
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Wenn alles geklappt hat, lest ihr diesen Text am 1. November, einen Tag vor meinem Geburtstag. Das soll auch in den nächsten Jahren so bleiben. Wenn schon Jahresrückblicke und wenn schon nicht an den kalendarischen Jahren orientiert, dann doch wenigstens an den Lebensjahren. Kommt mir wie ein guter Plan vor.