Sommerferien 20.7. bis 2.9.1978
Autor: g.
Hessenkolleg
Ach Leute, das schwierigste an diesen Bildern sind die Begleittexte. Da bin ich also aus der kuscheligen Zweizimmer-Freundin-Katze-Grünpflanzen-Wohnung in ein 11-Quadratmeter-Zimmer in einem Fast-Studentenwohnheim gezogen. Denkt euch was dazu. Auf den Schwarzweissbildern seht ihr das Wohnheim des Hessenkollegs Frankfurt und eine Rekonstruktion der Ausssicht vom 7. Stock des Wohnheims auf den Lehrtrakt und die Mensa. Hessenkolleg bedeutet, das Abitur in fünf Vollzeit-Semestern nachzumachen.
Wohnheim bedeutet rund 80 junge Menschen, die jeweils zu Beginn eines Studienjahrgangs sehr viel feiern. Manchen gelingt nach einer angemessenen Zeit des Feierns der Einstieg oder die Rückkehr in ein geregeltes Studienleben. Manch anderen nicht.
Die erste eigene Wohnung
Mit neunzehn Jahren zog ich von zuhause aus. Ein zufälliger Lehrstand und ein Bekannter bei der Wohnungsbaugesellschaft machten es möglich, gemeinsam mit meiner Freundin die Wohnung zu beziehen, in der ich aufgewachsen war. Nebenbei, unverheiratet zusammen zu ziehen war zu dieser Zeit noch nicht problemlos möglich und wir mussten unsere (nicht vorhandene) Heiratswilligkeit durch die Bestellung des Aufgebots belegen. Die Bilder sind alleine wegen der Tapetenmuster schon sehenswert.
Die frühen Jahre
An dieser Stelle möchte ich meine persönliche Wohngeschichte mit ein paar Bildern illustrieren. Diese Geschichte beginnt in einem Frankfurter Wohnort in einer Wohnanlage, den „Blöcken“. Die Gegend zählte nicht eindeutig zu den guten oder den schlechten, hier lebten Arbeiter und kleine Angestellte. Der Lebensmittelladen und der Metzger waren „über die Straße“, und die war so wenig befahren, dass ich auch als fünfjähriger mal alleine zum Metzger geschickt wurde.
Das Bild hat gleich zu zwei Wohnungen bezug, in denen ich gewohnt habe. Zunächst zeigt es ein Fenster der Wohnung, in der ich aufgewachsen bin (am linken Bildrand, Paterre). In dieser Wohnung hatte ich ab dem elften Lebensjahr behelfsmässig die Mansarde der für vier Personen viel zu kleinen Zweizimmerwohnung bewohnt. Diese Mansarde war fünf (!) Quadratmeter groß, was vor und neben dem Bett gerade 50 cm zum Laufen lies. Trotz der Enge war ich nicht unzufrieden mit der Lösung, erlaubte sie mir doch, mich wann immer ich das wollte zurück zu ziehen.
Als ich fünfzehn war zogen meine Eltern in eine größere Wohnung im gleichen Block, aus deren Fenster das obige Foto aufgenommen wurde. Hier hatte ich mein erstes eigenes Zimmer, das den Namen auch verdiente. Auf dem Bild ist am oberen Rand eine handgefertigte Hausapotheke zu sehen, die einer meiner Vorfahren gebaut hat und die ihr auf späteren Bildern nochmals finden werdet. Sie begleitet mich bis heute.
Die Motorradzeit
Bearbeitetes Transkript einer mündlichen Schilderung, aufgenommen im Jahr 2022, also rund 50 Jahre später. Ich habe versucht, so nahe wie möglich am gesprochenen Wort zu bleiben. Mehr dazu hier.
„Als ich mit 16 mein erstes Motorrädchen bekommen habe, habe ich über einen Bekannten von meinem Vater eine uralte Lederjacke gekriegt. Das heisst, die war zu dem Zeitpunkt schon 40 Jahre alt, die habe ich immer noch im Schrank hängen. Und das war die, die ich dann trug. Also ich erinnere mich nicht, zumindest durch meine Motorradzeit hindurch nicht, wann ich irgendwann etwas anderes getragen hätte. Und auch lange, lange danach noch.
Das ist auch so ein riesiges Renovierungsprojekt. Regelmässig denke ich, ich muss endlich mal jemand finden, der mir da wieder ein Futter einnähen kann. Die passt noch, nur hat sie um den Bauch herum einen Schnitt, den ich so nicht mehr haben würde. Weil sie da irgendwie zu sehr absteht, keine Ahnung, weil da der Nierengurt noch drunter musste oder was auch immer.
Aber wegen der Lederjacke brauchte ich keine Jeansjacke. Und wenn, dann hätte man eventuell ja eher so eine mit abgeschnittenen Ärmeln gehabt – über der Lederjacke. Das war aber auch zu sehr die Rockerecke. An die ich mich nie weit genug angenähert habe. Weil das vergleichsweise …
Also diese Motorrädchen und die Frankfurter Stadtteile, die sich dann kollektiv mit ihren Motorrädchen in den jeweiligen Jugendzentren gegenseitig besucht haben, man kann auch sagen überfielen. „Hey, wir fahren nach Sachsenhausen und gehen da mal ins Jugendzentrum und dann gucken wir mal“, oder umgekehrt. Das habe ich nur wenige Male mitgemacht, weil meine Szene da nicht nah genug dran war. Außerdem wohnte ich in Höchst und die waren nicht wirklich bedeutend in dieser Szene. Und es war einfach blöd, irgendwo hinzufahren und sich mit anderen zu prügeln oder wenigstens rumzupöbeln.
Das, was wir hatten, das waren so ein paar lose assoziierte Motorradfahrer. Eigentlich Kleinkrafträder, also 50-Kubik-Maschinchen, das will man nicht wirklich als Motorrad bezeichnen. Wir waren zwischen 16 und 18 zu dem Zeitpunkt. Die Leute, die älter waren und schon große Motorräder fuhren, das waren dann 350er oder 500er, fanden wir schwierig. Vor allem wegen den Mädels, weil die Mädels fanden das toll. Das heisst, man hat nicht wirklich so den Kontakt gesucht. Ab und zu kam halt mal einer vorbei und dann musste man sich damit auseinandersetzen.
In Höchst gab es ein Jugendzentrum, aber das war nicht der Ort, an dem wir uns herumtrieben. Wir hatten den Marktplatz. Die Mutter von einem der Mädels hatte den Kiosk da am Marktplatz und aus dem Grund hatte er sich dann irgendwann zum informellen Treffpunkt entwickelt. Handys gab’s noch nicht, das heisst man wusste nicht, wo die anderen waren. Man fuhr halt irgendwo hin, wenn man Zeit hatte, und das war bei uns der Marktplatz. Dort gabe am Kiosk Getränke und Infos, wir waren die Marktplatz-Clique.
Das war auch nicht lang, höchstens zwei Sommer, an denen wir uns da getroffen haben und von dort dann, keine Ahnung, zum Baggersee gefahren sind oder sonst irgendwas getrieben haben. Irgendwann hatten wir auch Kontakt bekommen zu Landjugendleuten, die auf dem Ort wohnten und in einem alten Stall einen Partyraum hatten. Oft, dass man dann dahin gefahren ist, aber man hat sich am Marktplatz getroffen und entschieden, was man macht. Und dann ging das dahin.
War eine geile Zeit. War auch die einzige Zeit, wo ich mich irgendwie zu einer Freundesgruppe zugehörig gefühlt habe. Das war mit Abschluss der Motorradzeit, also mit 18, schon wieder rum. Weil dann etwas anderes anfing. Dann fingen nämlich die ersten festen Beziehungen an.“