Kategorie: g.lebt
Duolingo „durchgespielt“ – nicht
Seit dem Barcelona-Besuch lerne ich auf Duolingo täglich +/- fünf Minuten Spanisch. Das sind viel mehr als die hier gezeigten 1111 Tage, aber zwischendrin habe ich einmal meinen damals schon beachtlichen Streak verloren.Vor wenigen Tagen habe ich aufgehört, ohne den Kurs beendet – das Spiel durchgespielt – zu haben. Das ist umso ärgerlicher, da ich nicht mehr lange gebraucht hätte, genaugenommen ([22×8]-4=) 172 Tage, ein Klacks. Dass es an der Motivation nicht scheiterte, müsst Ihr mir einfach mal glauben.Woran es scheiterte war mein Wunsch und Wille, den Kurs umsonst durchzuspielen. Im Bild oben links der blaue Balken zeigt 60 Gems, das sind 40 zu wenig um die nächste Übung freizuschalten („Steig ein Level auf“, im Bild unten rechts). Für diesen einen Tag, weitere hundert für jeden weiteren Tag (1200 für 4,99 €), oder eben ein Abo (zwischen 7,49€ und 13,99€ im Monat je nach Laufzeit). Das sind über den dicksten aller Daumen 50 Cent pro Tag, der Spass könnte den Preis wert sein, wenn man engagiert wäre. Was ich nicht bin. Ich bin gelangweilt und auf der Suche nach intelligenter Unterhaltung. Sinnfrei und anstrengungslos eine Sprache lernen passt da gut. Aber eben nicht für Geld, es soll umsonst sein, das gehört mit zum Spiel. Und deswegen habe ich aufgehört.
Duolingo hat also einen Werbungsgucker verloren und ich einen winzigen Teil meiner ohnehin kaum vorhandenen Tagesstruktur, eine klasische Loose-Loose-Situation. Dennoch kein Anlass für irgendwelches Drama, vermutlich ist der Verlust für beide Parteien gut zu verkraften.
Bleibt die Frage, was das denn nun gebracht hat, bei so wenig Zeitaufwand. Subjektive Antwort: Genug! Ich bin sehr sicher, dass ich mich bei einem Aufenthalt in einem spanisch sprechenden Land verständigen könnte. Radebrechend, maximal peinlich und unter Auslassung jeder sinnvollen Grammatik, aber deutlich besser als jeder, dem die Duolingo-Spanisch-Erfahrung fehlt. Vor allem aber, ich könnte deutlich mehr lesen und Gesprochenes verstehen. Klare Sache, die Sprecher müssten sich sehr auf mein Tempo des passiven Sprachverstehens einstellen, aber hey, sie hätten einen vor sich, der Vergangenheits- und Möglichkeitsformen erkennt, wenn sie ihm begegnen. Einen, der irgenwann erkannt hat, dass es die englischen have-to- und going-to-Konstruktionen auch im Spanischen gibt. Einen der …, okay, sie hätten mich vor sich. Und meinen Touri-Sprachführer.
Unterm Strich bin ich also zufrieden, das Verhältnis von Ergebnis zu Aufwand ist für mich stimmig. Dennoch gibt es eine Sache, die ich kritisiere, das Fehlen jeder strukturierten Erklärung. Nirgendwo ein Überblick, nirgends werden Verben durchdekliniert oder grammatikalische Formen wenigstens einmal erläutert. Als Lernender bekommt man kein Wissen um die jeweilige Regel oder Form vermittelt, sondern „lernt“ nur immer besser, sie zu erraten. Erstaunlich genug, dass das funktioniert, aber manchem mag das zu wenig sein.
Jahresrückblick 2022
Der letzte Jahresrückblick endete mit der Überlegung, ihn vorzuverlegen, weil dann die Jahresendzeit-Depression schon so schön lange herum ist, wenn er geschrieben wird. Nun, ich denke der beste Zeitpunkt für den Jahresrückblick 2022 ist JETZT. Wir haben Mitte Oktober …, nein haben wir nicht, es ist Mitte November und dieser Text hat unerwartet lange bis zu seiner Fertigstellung gebraucht. Also nochmal als ob es nicht so genau darauf ankäme, wir haben Mite Oktober, ein Meilenstein in meinem Dome-Projekt (das Wintergartendach) ist leicht verspätet abgeschlossen und die winterliche Zwangsentschleunigung kündigt sich tageweise schon an. Lasst uns zurückblicken, wenn’s am schönsten ist.
Und gleich schwierig einsteigen, denn anscheinend ist der Januar 2022 weitgehend ausgefallen. Zumindest gibt es kaum Bilder aus dem Zeitraum, dreizehn zu drei Motiven. Einmal war ich frühstücken im Januar, die Bilder beweisen es, und einmal habe ich mir Moos genauer angeschaut.
Aber im Februar fing das Jahr an. Oberflächlich betrachtet mit etwas Unangenehmem, der Wind wehte mir die Abdeckung von meinem Lieblingsbauprojekt und ich war gezwungen, sie zu erneuern. Zur Erinnerung, es ist der sechste Monat seit meinem Unfall, danach war ich auf keiner Leiter mehr und auch noch nicht auf dem Dach, von dem ich stürzte. Nun ging kein Weg daran vorbei. Nach ersten, vorsichtigen Versuchen war ich mir sicher, dass ich die Arbeit alleine erledigen konnte und tat das auch. Die Bilder zeigen mir, dass ich darüber hinaus mehr machte und es besser machte, als zwingend notwendig war. Letztlich hatte der Wind mir einen Gefallen getan und mich zurück ins Tätigsein gezwungen.
Im nachhinein betrachtet war das Jahr ab diesem Moment ein Selbstläufer, immer gab es etwas zu tun, immer war irgendwas los oder gab es etwas zu bedenken. Vieles davon ungeplant und der jeweiligen Tageslaune geschuldet, wenn auch selten an nur einem Tag erledigt. So bekam ich noch im Februar genügend OSB-Platten – eigentlich die auseinandergeschlagenen Transportboxen von wirklich großen Maschinen – geschenkt, um damit einen provisorischen Boden in meinem Liebligsbauprojekt zu legen. Geplant zwei Tage, gebraucht vier.
Im März beschließe ich, den Steg abzureißen, dann beschließe ich, die zum Wiederaufbau geeigneten Teile zu lassen, dann beschließe ich, ihn um die Metallteile zu ergänzen, die einen Wiederaufbau leicht machen werden, und dann beschließe ich, ihn einfach wieder aufzubauen, provisorisch. Das geschieht an Tagen, an denen es passt.
Denn manchmal ist auch anderes angesagt. Ich beginne mit meiner Tochter zusammen die Renovierung eines ehemaligen Wagenanbaus, der dann als Gästezimmer dienen soll. Die Idee beschäftigt uns, und manchmal auch nur mich, dann im Laufe der nächsten Monate zu verschiedenen Bauphasen tage-, oder auch mal wochenweise. Anfang Juni sind wir damit durch.
Ebenfalls im März beginnt auch am Wagenplatz ungeplant etwas Neues: gemeinsame Geländepflege. Angefangen hat Z. mit drei Bäumen, die schon lange gefällt gehörten, die wir dann zu dritt zerlegten und einlagerten. Gut für das Gelände und Holz für den Winter, win-win. Aus der Lust an der Aktion heraus kamen als nächstes einige zugewucherte Geländeteile dran, die von der Natur zurückerobert wurden. Wiesen wurden gemäht und es gab eine neue Gemeinschaftsfeuerstelle. Blümchen wurden gepflanzt und auf dem Parkplatz der Wiesenstreifen am Haus gepflegt. Die Lust Unkraut zu beseitigen setzte sich im Sommer im Pool fort. Durch lange und fortgesetzte Bemühungen – wirklich, das ging über Monate – gelang es uns, eine wuchernde Wasserpflanze, die andernorts ganze Gewässer zum Verlanden bringt, zurückzudrängen. Und so ging es weiter, viel Kleinkram, mal alleine, mal mit anderen zusammen. Hat jedem der Beteiligten gut getan, mal wieder ein ganz, ganz kleines „Wir“ zu spüren.
Im April fing ich dann auch wieder mit den Arbeiten rund um den Dome an. Die Einzelheiten erspare ich Euch, dafür gibt es das Bautagebuch an anderer Stelle, hier sei nur gesagt, dass im Laufe dieses Jahres Dome und Terasse fertig überdacht wurden.
Und noch etwas begann im April, eine ganz unerwartete Erfolgsgeschichte, der Start meiner WSMDEDGT-Monatsüberblicke. Der Großbuchstabentitel ist nicht von mir, andere Blogger sammeln unter diesem Titel ausführliche Tagesbeschreibungen jeweils am fünften des Monats. Gefühlt käme bei mir gar nicht viel heraus, so aus einem Tag, zu wenig, zu einseitig oder sonstwie unzulänglich. Aber dachte ich mir, vielleicht könnte ich ja mal einen Mustertag zusammenstellen, repräsentativ kombiniert aus dem Tun mehrerer Tage, sagen wir, den ersten fünf des Monats. Sozusagen die depressionsbereinigte Variante meines Lebens, in der ich die krankheitsbedingte Entschleunigung über den Zeitstrahl herausrechne. Also begann ich mit meinen Notizen zu den Tagesaktivitäten. Nach fünf Tagen war mir das immer noch nicht genug (obwohl?!), aber auch eindeutig nicht „nichts“. Den depressionsbereinigten Mustertag habe ich dann nie geschrieben, mir kam die Idee bei näherer Betrachtung unehrlich vor, ungefähr so, wie bei Instagram nur die guten Bilder zu posten. Aber die Entdeckung war gemacht, dass es mir gut tut, zwei Tage, eine Woche, einen Monat zurückzublicken und zu sehen, was ich in dieser Zeit getan habe. Deswegen habe ich weiter gemacht, bis heute.
Und weil Ihr nun wirklich jeden einzelnen Tag im letzten halben Jahr meines Lebens nachlesen könntet (selbst dran schuld, wer das wirklich will), erlaube ich mir ab hier, das strenge chronologische Konzept aufzubrechen und mehr auf die überspannenden Themen des Jahres einzugehen.
Irgendwie muss Produktivität in den letzten Jahren ein Thema für mich geworden sein. Ich zitiere mich selbst aus dem letzten Jahresrückblick: „Zum Zeitpunkt, da ich diese Zeilen schreibe, blicke ich auf diesen Sommer als einen zurück, in dem ich so produktiv und ausgeglichen wie selten zuvor einfach vor mich hin arbeitete. Die Baustelle strukturierte meine Tage, stellte Anforderungen physischer und gedankliche Art, machte mich zufrieden.“ Das könnte ich für dieses Jahr genauso schreiben und bin damit sehr einverstanden. Dennoch erinnere ich gut, wie kritisch ich Menschen gegenüberstehe, die Produktivität – oft als einzige Stütze des eigenen Selbstwertes – überbewerten. Deswegen muss an dieser Stelle kritisch vermerkt werden, dass sich mein Leben an anderen, ebenso wichtigen Stellen immer noch sehr löchrig anfühlt.
Warum mir in den letzten Jahren gelang, was in anderen Phasen meines Lebens eher schwierig war, hängt mit dem zusammen, was ich Krafteinteilung nenne. Ich bin mir meiner begrenzten Kräfte bewußt und hüte mich vor jeder Selbstüberforderung. Ich bin genau so lange aktiv, wie ich das sein möchte. Und keinen Moment länger. Notwendige Ausnahmen, z.B. weil für den folgenden Tag Regen angesagt ist und die Arbeit auch dann keinen Abschluss findet, werden streng verhandelt. Die einzelne Tagesleistung ist mir egal, solange es mir gelingt, die Arbeit immer und immer wieder aufzunehmen. Da kann sich eine Sache, die locker an einem Tag zu erledigen ist, schon einmal vier Tage hinziehen. Oder es geht unerwartet schnell und dauert bis in die Abendstunden, einfach weil ich „im Flow“ bin. Egal wie es geht, im Fordergrund steht immer die Lust an der Arbeit und niemals das angestrebte Endergebnis.
Und wenn nichts drängt kann man, also ich, auch einfach mal eine Woche aussetzen und die unfertige Hütte auf ein Fest vorbereiten. Dafür würde natürlich auch ein einziger Tag genügen, aber, siehe oben, ich will mich ja nicht verausgaben. Und so gab es auch in diesem Jahr zwei Feste in meiner „Location“, die mir viel Spass gemacht haben. Gastgeber waren einmal A. und einmal Nachbarin C., auch das ist schön, ein Fest zu haben, ohne dafür verantwortlich zu sein. Zwei sehr schöne Wochenenden für die ich mich bedanken muss.
Ein anderes Jahresthema – bisher im Blog nur angedeutet – war das Online-Dating. Dazu gibt es viel mehr zu erzählen, als im Rahmen eines Jahresrückblicks Platz hat. Zwischendrin hatte ich sogar mal eine Artikelserie geplant.
Los ging das im April, ich hatte J. gebeten, ein paar vernünftige Profilbilder von mir zu machen, die dann auch gut genug waren, um Interesse an mir zu wecken. Seitdem habe ich drei Frauen getroffen und hatte Kontakt mit etlichen mehr. Auf eine überraschende Weise erwähnenswert scheint mir, dass diese Anbahnungsversuche emotional berührend und auch anstrengend sind. Deswegen sind sie – wenn auch vom Ergebnis her betrachtet erfolgslos – keineswegs vertane Zeit. Es hat mir gut getan, mich mal wieder emotinal zu erleben und zu sehen, in welche Richtung die Phantasien so gehen. Was fehlt mir? Was fehlt dem Gegenüber? An welchen Stellen in der Kommunikation setzen – im Guten wie im Schlechten – die Projektionen ein? Womit sind wir zu locken und was ängstigt uns? Wie gehen wir mit unseren wunden Punkten um? Was interessiert uns am anderen? Jede Befragung wird auch zur Selbstbefragung. Oder kann das werden, wenn man gestrickt ist, wie ich es bin. Kurz, Online-Dating kann auch ein faszinierendes Werkzeug zur Selbsterforschung sein. Wer daran Spass hat dated nie umsonst.
Sehr interessant auch: der Blick von außen. Besser: der imaginierte Blick von außen. Was denke ich, denkst Du über mich? Sich selbst mit anderen Augen sehen, die ja doch nur wieder die eigenen sind. Kopfkino vom feinsten, jedes Genre wird bedient, von Horror bis RomCom, alles ganz von der jeweiligen Tagesform abhängig.
Oder vielleicht auch von der Monats- oder Jahreszeitenform. Der liebenswerte Blick auf mich selbst, im Frühjahr und Sommer ganz klar gegeben, fällt mir zum Jahresende schwer. Ich würde mich nicht wollen. Bei allem Spass an der Emotion und der Selbsterforschung, Online-Dating ist gerade wieder abgesagt. „Liebenswert“ kommt in der Selbstbeschreibung gerade nicht vor und dann kann das auch mit der Liebe nichts werden. Gar nicht erst probieren, gleich sein lassen.
Das ist jetzt nicht die Überleitung ins jahreszeitlich bedingte Tief, oder, ja auch, aber man muss das differenzieren …, also …, besonders „bestimmend“ im letzten Jahresquartal war die Prostatakrebs-Diagnose. Die ist nur ganz schwer mit jeder Sorte Liebelei zusammenzudenken und verschiebt die Prioritäten.
Die technische Seite dazu ist beschrieben, der dazugehörige Verarbeitungsprozeß weniger. Möglicherweise deswegen, weil er der Selbstwahrnehmung schwer zugänglich ist. Auf eine paradoxe Weise scheint er im Rückblick einfacher und trotzdem immer „vorläufig“.
Über die verschiedenen Diagnose-Schritte dauert es eine Weile, bis aus der Wahrscheinlichkeit eine Sicherheit wird. Das könnte den Impact etwas abfedern, aber mir war eigentlich vom ersten Gesichtsausdruck des CT-nachbesprechenden Arztes klar, das die Frage nicht „ob“ sondern „wie schwer“ lautete. Entsprechend früh konnte ich mit der Verarbeitung beginnen.
Anfangs war ich an manchen Tagen recht langsam und „verträumt“, später kam schlechte Laune an den Tagen hinzu, die ich mich aktiv mit dem Thema beschäftigen musste. Im Moment befinde ich mich irgendwo zwischen Abfinden und Hoffnung. Die Hoffnung scheint begründet, immerhin kommen im Befund auch Worte wie „heilbar“ vor. Abzufinden habe ich mich mit Vielem. Neben dem subjektiv deutlich näher gerücktem Lebensende vor allem und immer wieder mit den zahlreichen und Risiken und Nebenwirkungen, die jede der vorgeschlagenen Behandlungen mit sich bringt. Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera zu treffen, die Wahl zu verweigern ist keine Option.
Noch einmal schwieriger ist das, wenn man sich, so wie ich, gegen eine bestimmte Zusatz-Behandlung entscheidet. Da will gut abgewogen werden, vor sich selbst und auch vor anderen. Um dann, bei aller vorgeschobenen Rationalität, doch nach Gefühl entschieden zu werden. Habe ich durch, war nicht einfach, ich mach‘ das nicht.
Gegenwärtig bin ich täglich zur Bestrahlung, die Behandlung zieht sich über sechs Wochen und wird kurz vor Weihnachten beendet sein. Im neuen Jahr geht es dann noch einmal in die Reha und wenn alles gut geht ist nochmal alles gut gegangen. Ich will nicht vorgreifen aber bin vorsichtig optimistisch. Auf Wiederlesen im Neuen Jahr.
Jahresrückblick 2021
Fast schon traditionell (aber weniger gewollt, sondern einer verunglückten Biochemie zu verdanken) geschieht in den ersten Monaten des Jahres bei mir nur wenig. Und so ist es durchaus erwähnenswert, dass im Januar ein Projekt seinen Abschluss gefunden hat, das ich schon im Winter davor begonnen hatte, das Einlesen und veröffentlichen des Zendo-Tagebuchs. Seitdem liegen die Tagebücher mit den Aufzeichnungen der beiden folgenden Zendo-Aufenthalte auf dem Schreibtisch, vielleicht gibt es diesen Winter die Fortsetzung.
Auch der Holzschuppen hat immer mal wieder eine „Fortsetzung“, sprich Erweiterung, erhalten. In diesem Februar war eine schon lange angedachte Veränderung dran, das Einfügen einer zweiten Zwischenwand. Dadurch entstehen drei voneinder unabhängig zu befüllende Abteile, die jeweils das Holz eines Jahres enthalten. Im Ergebnis habe ich nun also immer Holz am Start, das mindestens zwei Jahre abgelagert ist.
Um das neugeschaffene Abteil zu befüllen, aber auch um Licht zu bekommen, wird zunächst die Weide gefällt. Im März folgt dann die Esche.
Der April ist bei mir meistens eine Zeit des Übergangs. Einerseits hängt mir noch der winterliche Trübsinn in den Knochen, anderseits beginne ich innerlich mit den metaphorischen Hufen zu scharen. Zudem verändert sich auch der Charakter der potenziell auszuführenden Tätigkeiten. Das lässt sich recht schön an meinem Dome-Projekt zeigen. Denn natürlich habe ich im bereits geschilderten ersten Vierteljahr auch im und am Dome gearbeitet. Aber es geschahen Dinge, die nicht zwingend dran waren und jederzeit ohne Verlust hätten unterbrochen werden können. Genannt sei hier nur das teilweise Stellen des Holzgerüstes für den zukünftigen Wintergarten.
Sobald die Tage wieder etwas wärmer werden, gelingt es mir, mich wieder den größeren Dingen und Notwendigkeiten widmen. Planvolles und gelegentlich langwieriges Handeln wird möglich. In diesem Jahr war das (gut dokumentiert an anderer Stelle) das Aufbringen der zweiten Schale auf den Dome und das anschließende „decken“ mit LKW-Plane. Kurz, im April entstehen die Pläne für den Sommer.
Und dann, Trommelwirbel, vier, drei, zwei, eins … ist Ben Henri Otis geboren, zu einem Datum, das sogar ich mir merken kann, dem 4.3.21. Das (also nicht das Datum, sondern das Geborenwerden von Ben) macht mich zum Opa, ein Fakt, dessen Bedeutung das ganze Restjahr braucht, um einzusickern. Konkret ändert das Opa-sein in meinem Leben ersteinmal nichts. Da mein Enkel mit seinen Eltern in Hamburg lebt und Corona noch immer eine Bedrohung darstellt, kann ich ihn nicht zeitnah zur Geburt besuchen. Es werden grob geschätzt viereinhalb Monate vergehen, bis ich ihn Ende Juli, dann mit vollem Impfschutz, zum ersten Mal sehen kann.
Was noch geschieht: Tomaten werden gesetzt und verfrieren, das ist noch nie passiert. Später lese ich, es sei der kälteste April seit 1980 gewesen.
Und auch die erste Maihälfte bleibt unterkühlt, am 5. Mai werfe den letzten vorrätigen Brikett in den Ofen, bis Mitte Mai verfeuere ich Holz. In Bezug auf die Arbeiten am Dome fühle ich mich ausgebremst, denn es ist nicht nur kühl, sondern auch feucht. Ich aber brauche trockene Tage, bevorzugt mehrere in Folge.
Um es vorwegzunehmen, der Sommer bleibt feucht und das Auflegen der zweiten Schale wird sich bis Mitte Juli hinziehen. Interessanterweise finde ich in der Stichwortsammlung für diesen Jahresrückblick für den Juni den Eintrag „Motivationsloch Dome“. Nicht nur erinnere ich nichts davon, ich erinnere mich gegenteilig. Zum Zeitpunkt, da ich diese Zeilen schreibe, es ist Anfang Dezember, blicke ich auf diesen Sommer als einen zurück, in dem ich so produktiv und ausgeglichen wie selten zuvor einfach vor mich hin arbeitete. Die Baustelle strukturierte meine Tage, stellte Anforderungen physischer und gedankliche Art, machte mich zufrieden. Und falls ich da gerade irgendetwas verkläre, lasse ich es gerne dabei.
Im Leben neben der Baustelle bekomme ich die Sockel für Zahnimplantate gesetzt und beende die letzte meiner Therapien. An beidem, dem Zahnersatz und der Lebensschau, wird weiter zu arbeiten sein. Und ja, es könnte spannend sein, diese Metapher zu reiten bis sie hinkt, aber hier und heute spare ich mir das.
Ebenfalls „beendet“, also vorläufig, also nicht, die Meditationsgruppe. Seit 2019 von mir vergleichsweise regelmäßig besucht, im Winter 2020 coronabedingt geschlossen, dann in diesem Jahr irgendwann wieder geöffnet. Im Juni finde ich mal wieder den Weg dorthin, alles ist, wie es immer war, warum sollte es auch anders sein. Ich bin wage unzufrieden, nicht zum ersten Mal. Die innere Auseinandersetzung, ob ich zu dieser Gruppe passe, führe ich mit mir, seit ich sie besuche. Weiter ausführen werde ich das nicht, aber es gibt ein Marx-Zitat (Groucho, nicht Karl), das einen Teil des Problems gut fasst: „Ich mag keinem Club angehören, der mich als Mitglied aufnimmt.“
Im Juli wird der Dome „eingeweiht“, ein großes Geburtstagsfest wird darin gefeiert. Ein Freund der Nachbarin hatte angefragt, ob der Dome bei Regen für das eigentlich draußen geplante Fest genutzt werden dürfte. Nach kurzer Überlegung sind wir dann dabei herausgekommen, gleich alles bei mir und im Dome zu planen. Gute Entscheidung, ich hatte einen Abend, wie schon Jahre nicht mehr. Seit dem Archillessehnenriss hatte ich nicht mehr getanzt, war auch nicht sicher, ob das überhaupt gínge. Nun, es ging, sogar ausgesprochen gut.
Gehören in einen Jahresrückblick auch Dinge, die man nicht getan hat? Im Juli fällt die Entscheidung den Urlaub abzusagen. Eigentlich wollten Freund J. und ich im August für 14 Tage nach Ungarn zu einer Freudin von ihm. Danach hätten sich unsere Wege getrennt, er nach Kroatien, ich für eine weitere Woche in die Hauptstadt zur Städtetour. Der Plan wird unsicher, als J. Herzrhythmusstörungen bekommt und nicht sagen kann, ob er reisefähig sein wird. Auf meiner Seite wird klar, dass ich meine für dieses Jahr geplanten Bauvorhaben nicht werde abschließen können, wenn ich mir zwischendrin drei Wochen Urlaub nehme. Beides zusammen führt zu dem Beschluss, den Urlaub abzusagen.
Umso entspannter starte ich Ende Juli für eine Woche nach Hamburg um erstmals mein Enkelkind zu sehen. Das ist emotional so spannend, wie unspektakulär im Verlauf. Sich zu einem vier Monate alten Menschen in Beziehung zu setzen, ist ja …, ähm, von der Wortwahl her schon viel zu verkopft. Ich wollte ihn sehen, wollte ihn halten, mich überzeugen, dass alles dran ist und es ihm gut geht. So Zeug, wofür es nicht wirklich ein Großhirn braucht. Das In-Beziehung-setzen kommt später. Bis dahin ist der Enkel in den fähigen Händen von Sohn und Schwiegertochter bestens aufgehoben, auch das zu sehen ist schön.
In Hamburg selbst war ich nur einen Tag zur Kentridge-Ausstellung. „Kentridge verarbeitet Themen wie soziale Ungerechtigkeit, die Geschichte Südafrikas, Kolonialismus, Familie, Flucht und Vertreibung mit den unterschiedlichsten Medien.“ Eine Ausstellung, die mich gefordert hat, wie seit langem schon keine mehr. Ich bin ja kein „Auskenner“, mehr so der „Gucker“, ein Sammler zufälliger Eindrücke. Nun, Kentridge beeindruckt, aber er ist nicht gefällig. Selten war es so gut, wie in dieser Ausstellung, sie alleine zu besuchen. Manches zunächst nur überflogen, zugunsten dessen, was nebenan schon interessanter schien. Und dann, am Ende der Ausstellung nocheinmal von vorne begonnen, diesmal langsam und mit ein wenig Verständnis mehr. So etwas geht alleine am besten.
Im Anschluss an Hamburg ging es für drei Tage nach Hummelfeld, liebe Ex-Nachbarn besuchen. Das Highlight des diesjährigen Besuchs war der Tagesausflug nach Flensburg. Nichts spektakuläres, einfach ein angenehmer Tag an einem Ort, der nicht zuhause ist.
Wieder zuhause arbeite ich den ganzen August hindurch an meinem Bauprojekt bis ich am 30.8. vom Dach falle und mir den Oberschenkel zwei Mal breche. Einen Tag später werde ich operiert und bekomme einen Marknagel mit Gelenkkomponente eingebaut.
Ich genese in kleinsten Schritten, zunächst noch im Krankenhaus, später in der Teilbelastungs-Reha, wo ich übe, auf Krücken zu gehen. Schließlich werde ich am 18. September nachhause entlassen. Es folgt eine Zeit großer Langeweile bis ich am 12. Oktober in die Vollbelastungs-Reha darf. Dort perfektioniere ich das Laufen auf Krücken und mache erste, unsichere Schritte auch ohne sie. Die Zeit in den Kliniken ist hier im Blog schon gut dokumentiert. Anfang November werde ich entlassen.
Im November rutsche ich langsam in die alljährliche Winterdepression. Direkt nach der Entlassung aus der Reha ist noch alles gut, gegen Ende des Monats ist alles jahreszeitlich gewohnt schlecht. Vielleicht auch etwas schlechter, denn die Mühe, die mir das Laufen immer noch macht. macht es auch schwerer, überhaupt an einer beliebigen Stelle ins Tun zu kommen. Alles, was ohnehin schon schwer fällt, fällt nun noch schwerer. Leicht ist nur, das als Vorwand zu nehmen, sich in die Depression zurückzulehnen.
Hinzu kommt, dass die Notwendigkeit physiotherapeutischer Übungen inneren Druck aufbaut. In den letzten Jahren habe ich gelernt, zum Jahresende hin auf jedes „Ich-müsste“ so weit wie möglich zu verzichten. Und weil in dieser inneren Freiheit nichts muss, geht manches dann doch. Nun muss ich üben, da bin ich mir mit allen Physiotherapeuten einig. Unnötig zu sagen, dass mir das nicht in der notwendigen Regelmässigkeit und Intensität gelingt. Das resultierende Versagensgefühl macht Party mit der Depression während ich im Serienüberkonsum zuhause bleibe.
Im Dezember führe ich auch wieder ein Schlaftagebuch. Schon in den beiden Jahren zuvor habe ich etwa um die gleiche Jahreszeit Schlafstörungen bekommen. Es beginnt mit Durchschlafschwierigkeiten, die daraus entstehende Müdigkeit führt zu kleinen „Naps“ tagsüber und von dort ist es nicht mehr weit zu einem Zustand, in dem ich zwei bis drei Schlafphasen von jeweils zwei bis fünf Stunden willkürlich über die 24 Stunden eines Tages verteile.
Entkommen kann ich dem nur, indem ich die Wachphasen des Tages schrittweise verlängere, bis ich schließlich wieder eine große Wachphase habe, sprich tagsüber wach bin und nachts schlafe. Dabei hilft das Schlaftagebuch. Unterstützend verzichte ich auf Kaffee und senke die Schlaftemperatur. Am heutigen Silvestertag schlafe ich seit 14 Tagen wieder halbwegs normal.
Das also ist im November und Dezember geschehen: ich habe die Winterdepression mit Schlafstörungen verziert. Darüberhinaus nichts. Nichts. Mein Leben ist zum Stillstand gekommen.
<O>
Aber so soll dieser Text nicht enden. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass ich so ab April meinen Scheiß wieder zusammenbekomme und sich das Leben wieder flüssiger anfühlt. Vielleicht wäre es eine gute Idee, den Jahresrückblick jeweils von Oktober bis Sptember gehen zu lassen. Dann stünde die Depression am Anfang des beschriebenen Zeitraums und man könnte aus der guten Endsommerstimmung heraus fluffig mit ein paar Worten darüber hinweg gehen. Und zum Ende des Textes hin wird es gutgelaunt und produktiv, so wie man sich das als Leser wünscht. Ich werde darüber nachdenken.
Zum Abschluss noch ein Gedanke, der dieses Jahr als Ganzes betrifft. Es ist das Jahr, in dem ich alt geworden bin, nicht nur von außen, sondern auch von innen. Ich bin von einem älteren zu einem alten Mann geworden. Vom Vater zum Opa, wenn man so will.
Ich habe das an anderen schon zuvor beobachtet. Der Alterungsprozeß verläuft nicht kontinuierlich, es gibt Jahre in denen er sich sprunghaft beschleunigt. Die Menschen machen einen Schritt von einer Lebensphase in die nächste, spürbar, sichtbar, von außen wie von innen. Auch ich bin mal wieder einen Schritt weiter.
In diesem Internetz …
… geht wirklich nichts vergessen. Unglaublich alt, dieses Video, und immer noch unglaublich gut.
Damals, bei der ersten Sichtung, kam das kleiner daher und deutlich schärfer. War so aber leider nicht mehr zu finden. Dafür ein „Making of …„, leider nur Text, aber hee, das war die Frühzeit des Netzes.