Damals …

… waren die Halbstarken noch Ganzstarke!

1973-19-xx-ganzstark

Meine Tochter hat mir auf  formspring.de die folgende Frage – deren Antwort an diese Stelle passt – gestellt.

Was ist wohl das Unbedachteste oder Bescheuertste,  das du in deinem bisherigen Leben angestellst hast? Und wissen deine Kinder davon?

Nein, wissen sie nicht. Dabei wird die Antwort nicht sonderlich aufregend sein, fast schon eine Banalität. Trotzdem habe ich lange gebraucht, sie zu finden. (…)

(…)

Das wohl unbedachteste und bescheuertste meines bisherigen Lebens ist die Art und Weise, wie ich zwischen 16 und 18 Jahren Motorrad gefahren bin. Das „Motorrad“ war eigentlich ein Kleinkraftrad, 50 Kubik und 80 Km/h schnell. Gerade schnell genug, um damit in der Stadt zu schnell fahren zu können, rücksichtslos sowieso und natürlich immer ohne Helm. Damals gab es noch keine Helmpflicht und die langen Haare im Fahrtwind, das kam einfach gut. In einem meiner Fotoalben habe ich noch einen Stadtplan des Frankfurter Vororts, in dem ich aufgewachsen bin. Darauf 16 (sechzehn) Kreuze, die Orte kennzeichnen, an denen ich mit meinem Motorrad gestürzt bin. Es gibt einen 17. Sturz außerhalb dieser Karte. Als ich die Kreuze einzeichnete war ich noch stolz darauf. Kein Gedanke, dass ich vielleicht ein schlechter Fahrer sei, denn schließlich war ich bei allen Stürzen entweder betrunken oder es regnete. Da kann sowas schon mal vorkommen. Echt bescheuert. Risiken einzugehen, die man nicht abschätzen kann, ist bescheuert (nicht die Risiken, sondern das nicht abschätzen können). Doppelt bescheuert, wenn man nicht nur sich selbst, sondern auch andere gefährdet. Hab ich getan, zwei Jahre lang, war bescheuert, nummer-eins-bscheuert.

OK, für alle, denen die Antwort zu langweilig ist, noch ein Schwank aus der Anekdotensammlung. Gibt keine Pointe, ich sag das gleich, dann müsst ihr auch keine erwarten, ist mehr so ein Haben-wir-mal-gemacht-Ding. Gleiche Zeit wie oben, die gleichen Motorräder und gleichen bescheuerten Jugendlichen. Ich und Freund P., sommerabends und betrunken, … Nein, halt, weiss denn heute noch jemand was „Blitzer“ waren? Blitzer waren Anfang der 70er Jahre immer mal wieder in den Schlagzeilen, weil sie an irgendeinem öffentlichen Ort oder bei irgendeinem Ereignis kurz nackt durch die Szenerie rannten und dann auch wieder verschwunden waren. Sagen wir die Queen nimmt die Parade ab, Blitzer rennt nackt durch die Parade, ab in die nächste Gasse und nie wieder gesehen. Am nächsten Tag dann Schlagzeile in der Bild oder ein Artikel in der Quick. 15 Minuten Ruhm, ein nackter öffentlicher Arsch war damals noch was.

OK, P. und ich also, betrunken und übermütig und voll der Bewunderung für blitzende Ärsche beschließen eines lauen Sommerabends unseren Beitrag zum allgemeinen Sittenverfall zu leisten. Die Queen war gerade nicht da und weil wir auch auf andere Gelegenheiten nicht warten wollten, beschlossen wir …, naja, beschlossen haben wir vermutlich gar nicht, auch nicht größer nachgedacht, also wir hielten es in diesem Moment für eine gute Idee, auf unseren Motorrädern mal eine Runde durchs Vorstädtchen zu fahren, nackt. Das haben wir dann auch getan, entlang der noch belebten Hauptstraßen und am Polizeirevier vorbei, die Nummernschilder mit verknoteten Taschentüchern verdeckt. Das war notwendig um gesehen zu werden, wie sollte sich den sonst unser Ruhm verbreiten, und um das rechte Mass an Uns-doch-egal-Attitude nicht nur den Sitten, sondern auch der Staatsgewalt gegenüber, zu beweisen. Wie angekündigt, keine Pointe, alles ging gut, Freund A. hatte uns gesehen, erkannt und verbreitete unaufgefordert unsere Großtat, die Clique schwankte zwischen Kopfschütteln und Bewunderung, 2 Tage lang waren wir Helden. Ende.

Nachgetreten

(veröffentlicht am 24.1.2010, später hier einsortiert)

In einem der vielen Best-of-Twitter-2009-Beiträge von Anfang des Jahres habe ich folgenden Tweet gefunden:

@luzilla: wenn ich mich mal so richtig schlecht, unfähig, ausgeschlossen und gedemütigt fühle, nenn ich das ‘meine inneren bundesjugendspiele’.

Mich hat das an eine Bundesjugendspiel-Story aus meiner Schulzeit erinnert.  Sie lässt sich in einem Satz erzählen:

In meinem neunten Schuljahr hat mein damaliger Klassenlehrer die pädagogische Großtat vollbracht, mir vor der ganzen Klasse – und sehr zu deren Vergnügen – die Minuspunkte auszurechnen, die ich mir bei den Bundesjugendspielen verdient hätte, wenn die Punktestaffelung unterhalb der Mindestleistung analog zu der oberhalb wäre.

3 Anmerkungen

  1. Das war sehr, sehr lustig. Für die anderen.
  2. Der Klassenlehrer hieß Mädler.
  3. Ich wünschte, Herr Mädler wäre nicht tot, hätte ein E-Mail-Konto und ich könnte ihm den Link zu diesem Beitrag senden.

Die Frau, bei der ich Kind war

Als ich die Redewendung aus der Überschrift zum ersten Mal hörte (André Heller verwendet sie in einem seiner Live-Auftritte) wußte ich, dass damit auch die Beziehung zwischen mir und meiner Mutter gültig beschrieben ist. Sie wendet eine Beziehung, die wir uns gerne als eine liebende vorstellen, ins Formale. Eine hat geboren, eines wurde geboren, mehr wissen wir nicht, aber wir ahnen, dass es keine herzerwärmende Geschichte wird.

Ich erinnere  keinen Moment mit meiner Mutter, in dem ich mich geliebt gefühlt oder für sie Liebe empfunden hätte. Auf den Bildern aus den Wochen nach meiner Geburt ist ihr Gesichtsausdruck neutral, ich spekuliere eine Wochenbettdepression hinein, es würde passen, ist aber nicht überliefert. Was überliefert ist, ist die vergleichsweise kurze Stillzeit von drei Wochen. Ich glaube, ich war sehr verärgert, damals.

Das Gute an formalen Beziehungen ist, dass alle Beteiligten wissen, welche Rolle sie zu spielen haben. Mutteriell war ich gut versorgt, Flaschennahrung und Babybrei machten es möglich, später gab es Fleisch mit Konservengemüse. Gekleidet wurde ich mit Hilfe des Otto-Versands, der meinen modischen Ansprüchen lange genügte. Kurz, gemessen an den damaligen Umständen fehlte es mir an nichts und ich dankte es mit Wohlverhalten.

Zumindest bis zur Vorpubertät, die – wenn wundert’s – viele Veränderungen mit sich brachte. Vielleicht am Wichtigsten für den Zweck dieses Textes, etwa ab der Vorpubertät habe ich zusammenhängende Erinnerungen, die Zeit davor bleibt bruchstückhaft – und es sind wenige Bruchstücke. Je weiter zurück, umso weniger. Weswegen meine Kindheit in der Regel nicht auserzählt wird, es bedarf besonderer Bemühung, in sie einzudringen; hier und heute, also hier und morgen und vermutlich  auch hier und an etlichen Tagen mehr, will ich es anders machen und den wenigen Erinnerungen den Raum geben, den sie verdienen. Was war los zwischen Zu-früh-abgestillt und Das-müssen-Lewis-sein?

<O>

Wird fortgesetzt,
irgendwann mal,
oder auch nicht,
weil’s irgendwie auch egal ist,
Ihr wisst schon.