24847 – Shinjinmei – Hsin-Hsin-Ming – Meiselschrift vom Glauben an den Geist

Als ich 1999 im Zendo von Father Ama Sami war, fand ich in der Bücherei ein kleines, schön gestaltetes Buch mit der „Meiselschrift vom Glauben an den Geist“. Bei der Meiselschrift handeltes sich um ein altes zen-buddhistisches Gedicht, das Sengcan (Jianzhi Sengcan) zugeschrieben wird, dem dritten Patriarchen des Zen in China, der im 6. Jahrhundert lebte. Der Titel bezieht sich auf die Tradition, wichtige Schriften in Stein oder Holz zu meißeln, um sie auf diese Weise zu ehren und zu bewahren.

Im Buch standen jeweils zwei Zeilen mit chinesischen Schriftzeichen zusammen mit einer deutschen Übersetzung auf einer Seite. Die einleitenden Zeilen, von denen gesagt wird, dass sie die Essenz des folgenden seien, sahen so aus:


道本無難
唯嫌揀擇

­

Der Große Weg ist nicht schwierig,
für diejenigen, die keine Vorlieben haben.


Im weiteren Verlauf erfuhr ich, dass einer der Schüler dort an einer eigenen Übersetzung arbeitete. Und dass es noch deutlich mehr Übersetzungen gäbe. Zwei davon konnte ich finden und war überrascht, wie sehr sie sich voneinander unterschieden. Wieder zuhause machte ich mich an das überambitionierte Vorhaben, mir die für mich richtige Übersetzung zusammenzustellen. Ein Vorhaben, das ich schon bald aufgab.

Zur Illustration: auch dies ist eine Übersetzung der oben zitierten chinesischen Schriftzeichen.

Was mir blieb sind mentale Reste dessen, worüber ich damals nachdachte, und ein Bündel verwaschener DIN-A4-Blätter mit meinen Notizen. Im Wesentlichen geht es  um Nicht-Dualistische Denken und das Loslassen von konzeptionellen Unterscheidungen. Es gilt einen Zustand des Geistes zu erreichen, der frei ist von Anhaftung, Abneigung und Vorlieben.

Wir sollen erkennen, dass alle Unterscheidungen, Urteile und Dualitäten (wie gut vs. schlecht, richtig vs. falsch) die Quelle von Leiden und Missverständnissen sind. Um Frieden zu erlangen, sollte man alle dualistischen Ansichten loslassen

Das Festhalten an Meinungen und mentalen Konstrukten schadet, während Akzeptanz Freiheit und Frieden bringt, da der Geist nicht länger von Anhaftung oder Abneigungen aufgewühlt wird. Erwachen geschieht in einem einfachen Dasein jenseits konzeptioneller Vorstellungen.

So einfach ist das! Nicht.

<O>

Die Meiselschrift endet mit folgenden zwei Versen:

Glaube an den Geist ist Nicht-Zwei,
Nicht-Zwei ist Glaube an den Geist.

Der Weg der Worte ist zu Ende –
keine Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart.

<O>

PS
Diesen Text gibt es heute, weil ich gestern bei der  Bücherräumerei auf meine Notizen zur Meiselschrift gestoßen bin und mich genau zum richtigen Zeitpunkt daran erinnert fühle.

Kleine Dosen

Auf spektrum.de gab es vor nicht allzu langer Zeit einen Übersichtsartikel zu Microdosing, meint: der regelmässigen Einnahme psychoaktiver Drogen unterhalb der Wirkschwelle. Menschen machen das zum Zwecke der Gesundung oder zur Steigerung der Leistungsfähigkeit. Zu beidem gibt es deutliche Hinweise, dass das nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Depressionen und Ängste sollen sich bessern, Konzentration und Kreativität zunehmen.

Schon einige Tage zuvor war mir das Thema im Rahmen einer Pilz-Doku („Die fantastische Welt der Pilze“ in der Mediathek) begegnet. Eine Suche im Netz bringt dann weitere Bewegtbildinhalte der öffentlich-rechtlichen Sender zutage, mal kurz, mal länglich-gesprächslastig. Und alles interessant vor allem unter einem Aspekt: der gesamtgesellschaftliche Zugang zum Thema Rauschdrogen in der Medizin scheint sich im Wandel zu befinden. Erstmals seit den 1970er Jahren gibt es wieder Forschung zum Thema und überall auf der Welt gibt es experimentelle Ansätze, Drogen in Therapien einzubeziehen.

Im Wesentlichen gibt es zwei Ansätze. Erstens werden Drogen im Rahmen eines gesicherten Settings verabreicht, der anschließende Rausch begleitet und in den Folgesitzungen aufgearbeitet. Die Anzahl der „Rausch-Sitzungen“ liegt im einstelligen Bereich. Im zweiten Ansatz werden sehr kleine Dosen psychoaktiver Drogen (deswegen Microdosing, wer hätte es gedacht) regelmäßig über einen längeren Zeitraum eingenommen. Dosierung und Einnahme liegen in der Verantwortung des Konsumenten. Dabei soll es zu keinem Zeitpunkt zu einer  Veränderung der gewohnten Wahrnehmungsweise kommen, wer einen Rausch wahrnimmt, hat zu hoch dosiert.

Klare Sache, wer als Betroffener den Trip auf Krankenschein sucht, wird ihn so schnell nicht bekommen. Zufall und Glück müssten ihn in eine der wenigen klinischen Studien oder zu einem der wenigen zugelassenen Therapie-Plätze führen. Insgesamt keine guten Erfolgsaussichten. Hat aber auch sein Gutes: wir müssen uns nicht mehr kümmern.

Eine bessere Chance bietet da Microdosing als Selbsthilfe.  Auch das ist nicht ohne jede Schwierigkeit und vermutlich taucht gelegentlich die eine oder andere Sorge auf, die dann behandelt werden will. Kurz, bevor wir zur selbsthelfenden Tat schreiten, müssen wir uns kümmern, Risiken abschätzen, Vorgehensweisen klären, viel lesen und verstehen

Wenn ihr mir bis hierher gefolgt seid empfehle ich dringend, den oben verlinkten Artikel zu lesen, jetzt. Damit wir auf dem gleichen Stand sind und ich mich darauf beziehen kann. Wenn ihr gerade keine Zeit habt, dann hört einfach auf zu lesen und kommt wieder, wenn ihr Zeit habt. Ansonsten: Jetzt.

Oder ihr macht, was ihr wollt.

<O>

Was haben wir erfahren? Microdosing ist ein Trend, Die MD-Community ist von den positiven Effekten überzeugt. Dennoch: nichts genaues weiß man nicht. Microdosing scheint ungefährlich zu sein, im dümmsten Fall könnten wir es mit einem Placebo-Effekt zu tun haben. Andererseits lassen sich Wirkprinzipien benennen und schwache Effekte sogar messen. Weitere Forschung ist dringend notwendig.

Im Ergebnis scheint das zunächst etwas dünn. Was daran liegen könnte, dass der Artikel nah an seinem Thema, dem Microdosing, bleibt, während ein Großteil der Forschung sich auf den Einsatz wirkkräftiger Dosen im Rahmen konventioneller Therapien konzentriert (und dabei sehr viel überzeugter auftritt, gelegentlich sogar von „breakthrough therapies“ spricht).

Zurück zur Selbsthilfe. Als Depressionskandidat wäre ich verzweifelt genug, Microdosing eine Chance zu geben. Wenn ich denn nur wüßte, wie genau das eigentlich funktioniert. Das im Artikel angesprochene Reddit-Forum erweist sich als eine großartige Informationsquelle. Ich vermute ein Großteil der oben angesprochenen Sorgen und Ängste werden dort behandelt. Wie hoch ist eigentlich eine Micro-Dose? Welches Einnahme-Schemata gibt es? Was hilft bei Magenschmerzen oder allgemeinem Unwohlsein nach der Einnahme? Solche Fragen werden dort behandelt.

Was dort nicht behandelt wird sind Fragen der Beschaffung und was der Staatsanwalt deines Vertrauens eigentlich dazu sagt. Und das sind ja doch sehr wesentliche Fragen.

Auch der Spektrum-Artikel sagt dazu nichts, muss er auch nicht aus seiner wissenschaftlichen Perspektive heraus. Aber  spätestens wenn man das Reddit-Forum besucht hat, fällt auf, dass der Artikel Psylocybin unterrepräsentiert und nur nebenbei erwähnt („Neben LSD nutzen die Betroffenen auch Psilocybin, den Wirkstoff der »magic mushrooms« […].“ Sehr viel später im Text dann „[…] Psilocybin und LSD […] binden an einen bestimmten Serotoninrezeptor namens 5-HT2A.“). In der Microdosing-Community spielt Psiylocybin eine deutlich größere Rolle. Der Mangel an Erwähnung im Artikel ist schade, weil eine Suche nach psylocybinhaltigen Pilzen (in der Suchmachine, nicht im Wald) durchaus interessante Ergebnisse bringt, auch und gerade in Bezug auf Fragen der Beschaffung und der Legalität.

Man sollte denken, die Sache mit der Legalität sei relativ schnell geklärt. Die für das Microdosing in Frage kommenden Substanzen LSD und Psilocybin dürfen weder gehandelt noch besessen werden, wenn die treibende Kraft dahinter Rausch, Vergnügen oder Selbstverbesserung ist. Das gilt auch, wenn die Substanz, wie im Falle von Psilocybin, noch im Pilz ist. Ende aller Microdosing-Fantasien.

Aber wartet, vielleicht habt ihr schon einmal davon gehört, dass manche Sorten von französischen Schimmelkäse nach deutschem Lebensmittelrecht nicht zulassungsfähig wären. Aber weil sie in Frankreich zugelassen sind, dürfen diese Käsesorten auch in Deutschland gegessen werden. Okaaay, falls es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.

So ähnlich auch hier, Wikipedia schreibt im Artikel zu psilocybinhaltigen Pilzen zur Rechtslage in den Niederlanden:

Das Verbot betrifft psilocybinhaltige Pilze, während psilocybinhaltige Trüffel und Pilzzuchtsets verkauft werden können. Am 13. September 2019 veröffentlichte die Steuerbehörde der Niederlande die zollrechtliche Kategorisierung und den dazugehörigen Steuersatz für magische Trüffel und hat diese damit als Genussmittel legalisiert.

Manche schließen daraus: Magische Trüffel sind seit 2019 dank Holland ein in der EU anerkanntes und legales Genussmittel in jeder Mengenordnung. So oder ähnlich steht das auch auf den Seiten mancher Versender. Dem Einen sein Käse ist des Anderen Trüffel.

Aber kann das sein? Wenn es um rechtliche Fragen geht, verlasse ich mich doch lieber auf Anwälte, diese hier und nur zum Beispiel:

„Auch wenn Anbieter von magischen Trüffeln etwas anderes behaupten: Psilocybin und Psilocin sind in der Anlage 1 zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufgeführt. Damit ist jeglicher Umgang mit Pilzen oder deren Bestandteilen in Deutschland verboten und nach § 29 Absatz 1 BtMG strafbar.

Die Begründung für die angebliche Legalität in Deutschland lautet: Die niederländische Steuerbehörde habe für die Trüffel 2019 einen Steuersatz veröffentlicht und sie damit für verkehrsfähig erklärt.

Es ist aber ein Trugschluss, dass aufgrund des gemeinsamen EU-Binnenmarktes damit automatisch eine Legalisierung in allen anderen Staaten der Europäischen Union und der Europäischen Freihandelszone (EFTA) verbunden ist. In Deutschland gilt weiterhin die bisherige Rechtslage und damit das Verbot nach dem Betäubungsmittelgesetz.“

Und damit ist jede Aussicht auf legales Microdosing in Deutschland vom Tisch. Sehr schade, das!

Im nächsten Leben werde ich Holländer, dann könnte ich mir dort einen der vielen Smartshops googlen, mir total legal magische Trüffel kaufen und was gegen meine Depressionen tun. Nur mal so zur Abwechslung.

Medium Overload – die Liste

Als junger Mann war ich mit meinem Vater sehr unzufrieden, der in seinem Leben nicht mehr tat, als arbeiten und fernsehen. Ich weiß, dass er in jungen Jahren aktiver war, aber diesen jungen und aktiveren Mann habe ich niemals kennengelernt. Wenn überhaupt kannte ich ihn in den mittleren Jahren bis hin zum Rentenalter; und was ich sah gefiel mir nicht. Ich war sicher, dass am Leben „irgendwie“ mehr dran sein müßte.

Ein halbes Jahrhundert später bin ich selbst in Rente und ihm erschreckend ähnlich, in meinen besten Zeiten arbeite ich (meint: ich bin produktiv, wertschaffend auf eine Weise, die mich und andere – ganz wichtig – überzeugt) und sehe fern (auch wenn das heute Streaming heißt und durch jedweden Medienkonsum im Internet ergänzt wird). Ich schaue mich an und mir gefällt das nicht, da müßte doch „irgendwie“ mehr dran sein.

Diese Zeilen sind eine kleine Entschuldigung meinem Vater gegenüber, ich war jung und hochmütig. Selbst in mittleren Jahren war ich noch jung und hochmütig. Jetzt, berentet, scheitere ich selbst an der Aufgabe, ein lebenswertes Leben zu führen.

Ende eines schwermütigen Vorwortes, das notwendig war. Es folgt eine Liste aller (!) Filme, Serien und Bücher, die ich im Jahr 2022 konsumiert habe. Diese Liste ist lang und ich lese sie eher als ein Dokument nichtgelebten Lebens. Aber ich habe sie geführt und Ihr sollt sie haben. Sie füllt die zeitlichen Lücken auf, die in den Was-Machst-Du-Eigentlich-Den-Ganzen-Tag-Beiträgen auffallen, denn eigentlich kann das doch nicht alles gewesen sein. Nein, war es nicht, da waren noch Filme, Serien und Bücher.

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Fundstück beim Aufräumen meines „Schreibtisches“

Auf meinem Schreibtisch, also dem Tisch auf dem ich schreibe, strengenommen tippe, strengenommen auch kein Tisch, fand sich beim Aufräumen ein Zettel mit folgendem Spruch:

„Sei immer freundlich zu Menschen,
die an deine Zahnbürste kommen.“

Equalizer 2

 

Anscheinend ein Filmzitat. Leider habe ich in der Zwischenzeit, also der Zeit zwischen dem Aufschreiben und heute, vergessen, was ich mir damit sagen wollte. Oder Euch.

 

Nur nebenbei, vorne rechts im Bild seht Ihr mein heutiges Tage- und Nachtwerk: eine immense Anzahl an abgearbeiteten Merkzetteln, deren Inhalt nun zu dem Ort gefunden hat, an den er gehört, z.B. den Kontakten, der Notiz-App, der Passwort-App, dem Einkaufszettel, dem neuorganisierten Pinboard, der Downloadliste oder den Youtube-Abos.

Wir hatten ja nichts

Lochkarte

Selten genug verweise ich auf Blogbeiträge anderer. Heute möchte ich das tun, denn da wird – zumindest im ersten und einleitendem Teil – ein Gedanke vertieft, den ich in ähnlicher Form hatte, als ich vor einigen Tagen meinen Blogbeitrag zu den Rangoli schrieb. Vielleicht erinnert ihr euch:

Heute [2019] lässt sich auch bei oberflächlichster Recherche über Wikipedia oder die Suchmaschine Deines Vertrauens mehr über Rangoli erfahren, als ich damals [1998] hoffen durfte, bei meiner Rückkehr in der Stadtbücherei darüber zu erfahren.

In diesem Satz nur angedeutet und im verlinkten Beitrag ausführlicher dargestellt ist das fassungslose Erstaunen darüber, was heute dank des Internets möglich ist und vor zwanzig Jahren kaum auszudenken oder zu erhoffen war.

Bühne frei für Wortvogels „Wofür zahle ich eigentlich nicht?!“