24850 – Sintflut

Ich hatte versprochen, dass die Lückenfüller – und das ist der heutige Beitrag definitiv – positiv bleiben. Heute ist es noch etwas ambivalent, ich muss mich langsam annähern.

Mir genügt der blasseste Regenbogen oder manchmal auch nur ein Sonnestrahl, der durch ein Prisma fällt, und ich denke an die Sache mit der Sintflut.

Nun ist das mit der Sintflut für die direkt Betroffenen vielleicht nur mäßig positiv, diente aber der guten Absicht, die Erde von Gewalt, Sünde und Bosheit zu reinigen. Dass das gut ist, darauf können wir uns mit religiösen Extremisten aller Geschmacksrichtungen einigen. Und am Ende wird es richtig-richtig positiv, alle geben sich die Hand und wollen sich auf ewig vertragen. Schwamm drüber sozusagen, einen sehr großen.

Ich: „Erzähl‘ mir die Geschichte vom Regenbogen als göttliches Versprechen, dass es keine Sintflut mehr geben wird.“

ChatGPT: „Nachdem Noah und die Tiere die Arche verlassen hatten, versprach Gott, die Erde nie wieder durch eine Flut zu vernichten. Als Zeichen dieses Versprechens setzte er den Regenbogen in die Wolken. In der Bibel heißt es dazu:

„Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes sein zwischen mir und der Erde. (…) Und wenn der Bogen in den Wolken erscheint, will ich meines Bundes gedenken, der zwischen mir und euch und allen lebenden Wesen besteht.“

Der Regenbogen wurde so zum Symbol für Gottes ewiges Versprechen, die Erde nicht mehr durch eine Sintflut zu zerstören, und steht für Hoffnung, Neuanfang und Gottes dauerhaften Bund mit der Menschheit und der gesamten Schöpfung.“

So, fertig, Bildungsauftrag erfüllt, viel Spass im Tag Euch allen.

Berlin 2023, erste Woche

Woche <1>, 2, 3 und 4

15.12.2023, Freitag
Ich komme gegen 7.00 Uhr mit dem Nachtbus in Berlin an, die Ringbahn bringt mich in fußläufige Nähe meines ersten Ziels, die Wohnung meiner Tochter Hannah. Wir frühstücken zusammen, bis sie gegen 9.00 Uhr ins Home-Office verschwinden muss, also da, aber nicht verfügbar ist. Ich vertreibe mir die Zeit damit, die App des Berliner Nahverkehrs herunterzuladen und ein Monatsticket zu buchen, gültig für vier Wochen ab gleich und jeden Werktag erst ab 10.00 Uhr morgens nutzbar (kostet 67,00 Euro und ist damit günstiger als zwei Monate des 49-Euro-Tickets, was zunächst der Plan war). Wer will schon vor zehn unterwegs sein?

Dann ist es auch schon zehn und ich wechsle mittels meines neuen Tickets und der S-Bahn in meine Bleibe für die nächsten vier Wochen, die Wohnung von Hannahs Freund. Er ist beruflich in dieser Zeit unterwegs und offen genug, mir für diesen Zeitraum seine Wohnung zu überlassen. Es ist eine Ein-Raum-Wohnung, die mir  ausnehmend gut gefällt. Hier hat jemand mit Willen zu persönlichem Stil eingerichtet, ohne dass das  gekünstelt oder (zu) gewollt aussieht. Wer den zur Wohnung gehörigen Mensch kennt, kann sich beides sehr gut zusammen vorstellen.

Ich benötige einge Zeit um mein Zeug in der Wohnung zu verteilen, schnell wird aus einer aufgeräumten Wohnung eine etwas weniger aufgeräumte. Der Laptop wird an den Start und das WLAN gebracht und die Streaminganbieter müssen erstmals darauf lauffähig gemacht werden. Zwischendrin biege ich unerwartet zu dem Versuch ab, Bard (Googles Antwort auf ChatGPT) einen Berlin-Limerick abzuringen, woran er (vermutlich mehr ein es, aber lassen wir es mal dabei) krachend scheitert, obwohl ich wirklich nicht mit Nachhilfe spare.

Irgendwann danach gehts zum nahegelegen Discounter um einen Grundstock an Lebensmitteln einzukaufen. Kurz vor fünf komme ich zurück, gegen sechs lege ich mich ins Bett und schlafe bis neun. Das war erwartbar, ich hatte während der Fahrt im Bus nicht geschlafen, nicht wie in gar nicht.

Ausgeschlafen verbringe ich den Rest des Abends ganz ähnlich, wie ich das auch zuhause täte, Serienkonsum und Blog-Getippe. Letzteres etwas aufwändiger als zuhause, weil ich den Monatsüberblick vorziehe, den ich abgeschlossen wissen will, bevor es hier mit aktuellerem Inhalt weitergeht.

Jetzt ist streng genommen schon morgen und ich bin bereit für Berlin, Futter im Kühlschrank, unbeschwerter öffentlicher Nahverkehr gesichert und alles gelebte Leben verbloggt. Es kann losgehen.

16.12.23, Samstag
Gegen zehn mit Wecker aufgestanden. Meine Morgenroutine mit Kaffee und elektronischer Zeitung lässt sich problemlos auf die Verhältnisse hier übertragen. Der Kaffee ist ein anderer (darüber wird noch zu berichten sein) und der PC ist mein Laptop, ansonsten ist alles wie gewohnt. Obwohl, es ist deutlich heller, die Fenster sind deutlich größer und die Vorhänge zurückgezogen. Die Sonne spiegelt sich in den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses und will mir irgendetwas mitteilen, vielleicht sogar etwas mit Aktivität.

Gegen zwölf öffne ich zum ersten Mal eine Seite mit aktuellen Berliner Ausstellungen. Hannah und ich wollen gemeinsam etwas unternehmen und sind in der Abstimmung via Messenger. Weil sich nichts so wirklich in den Vordergrund drängt, beschließen wir zu einem Weihnachtsmarkt zu bummeln (der in der Kulturbrauerei, ich war dort schon einmal) und von dort aus weiterzusehen. So startet der Tag.

Der Treffpunkt ist für beide von uns mit einer kurzen Fahrt in der Tram zu erreichen, von dort bummeln wir los. Die meiste Zeit, auch später auf dem Weihnachtsmarkt, sind wir mehr im Gespräch als bei unserer Umgebung. Es gibt genug zu erzählen. Der Weihnachtsmarkt ist glücklicherweise nicht sehr voll, wir können uns die Unaufmerksamkeit leisten. Eine kurze Rast machen wir bei Kinderpunsch und Chai in einem geheizte Zelt, das vorgibt, eine Jurte zu sein. Ich bin nicht überzeugt, aber es ist warm und gemütlich. Wir sitzen dort eine Weile und plaudern, dann ziehen wir weiter.

Im Gespräch haben sich unsere nächsten Anlaufpunkte ergeben, im Wesentlichen der Einkauf von ein paar Dingen, die ich für einen gelungenen Berlinaufenthalt noch brauche. Schon beim Packen des Rucksacks war mir klar, dass ich ich ein zusätzliches wärmeres Oberteil benötigen würde. Ein guter Anlass, eine Gebrauchtkleiderverkaufsstelle zu suchen und nebenbei Berlin zu erkunden. Erkunden war nun unnötig. Der Ort der Wahl war von M. schon erkundet und nur eine kurze Tramfahrt entfernt. Wie es sich herausstellt gibt es dort viel mehr als Kleidung, eigentlich alles. Unter anderem auch einen Wasserkocher für wirklich kleines Geld, den ich benötige, weil der aus M.s Wohnung gerade bei Hannah aushilft. Und das wärmere Oberteil bekomme ich auch.

Eine ungeplante Ersatzbeschaffung sind die Schuhe. Die, die ich als einziges Paar dabei habe, sind an einer Stelle so durchgelaufen, dass Feuchtigkeit eindringt. Dass es soweit kommen konnte, ist einer Mischung aus Ignoranz und Keinen-Bock-auf-Schuhe-kaufen geschuldet, aber heute ist es vergleichsweise einfach. Der angesteuerte Schuh-Discounter hat gleich zwei Paare, die das Anprobieren wert sind und erstaunlicherweise ist es das günstigere, in dem ich besser laufe.

Schuhe kaufen ist schwierig seit mir die Archillessehne den Dienst verweigert. Ich setze auf der lädierten Seite sehr hart mit der Ferse auf und der fehlende Druck auf dem Vorderfuß macht das kontrollierte Abrollen und -stoßen unmöglich. Absatz und Sohle müssen also möglichst weich sein und den Abrollvorgang unterstützen, die wenigsten Schuhe tun das. Ende Exkurs Schuhe-kaufen.

Pulli, Schuhe, Wasserkocher, ein unerwarteter und unerwartet erfolgreicher Jagdausflug. Im weiteren gibt es noch Lebensmittel und Zeichenkarton für Hannah, wir trennen uns gegen halb sechs mit einer Verabredung für morgen am frühen Nachmittag zum Flohmarkt.

Ich beginne den Abend mit Bewegtbildkonsum, schlafe aber gegen acht auf dem Schreibtischstuhl ein, schaffe mich ins Bett und schlafe bis zwölf, lese bis eins, stehe auf, um etwas zu essen, bin wach. Dann kann ich auch schreiben, dieser Text entsteht in Nachtarbeit.

17.12.2023 SonntagIch schlafe bis elf, trödle in denTag und bin ab eins auf dem Weg zu Hannah. Da ich schon in der richtigen Tram Richtung Flohmarkt sitze steigt sie bei sich vor der Haustür zu. Plaudenderweise weiter bis zum Flohmarkt, auf dem Weg dorthin schauen wir noch in den einen oder anderen Laden. Der Flohmarkt selbst ist belebt, aber nicht voll, schauen und plaudern gelingt zur gleichen Zeit. Wir drehen eine entspannte Runde und fahren zurück zu ihr.

Dort bleibt es entspannt, bei Tee, einem duftenden Luftbefeuchter und beleuchtetetem Weihnachtsbaum schauen wir „Chicken Run“, einen Knetfigurenfilm. Der Film ist ab 6 Jahren freigegeben und vielleicht sind wir etwas zu entspannt, wir beide schlafen mehrfach während des Films ein. Dann ist das halt so.

Gegen Abend breche ich „nachhause“ auf, Hannah verbindet das mit der Hunderunde und bringt mich noch bis zur S-Bahn. Die letzten Meter bis zu M.s Wohnung sind mittlerweile gut geübt, ich wage es, die erste Variation einzubauen und esse einen Döner für die Nacht.

Zurück in M.s Wohnung, „zuhause“, geschieht nicht mehr viel. Etwas Medienkonsum und Dokumentation des Tages, früh ins Bett.

18.12.2023, Montag
Montag ist Ruhetag. Nicht nur bei mir, auch alle Berliner Museen haben geschlossen. Dementsprechend sehe ich keine Veranlassung, das Haus zu verlassen. Oder fast keine, für den Lebensmitteldicounter um die Ecke reicht’s noch, irgendwann am Nachmittag. Das ist genug Herausforderung.

Es ist bemerkenswert, was eine fremde Umgebung an zugegeben niedrigschwelligen Herausforderungen bietet. Heute also eine andere Sorte Fertigpizza, die auf der Packung dazu rät, sie nicht antauen zu lassen. Natürlich lasse ich sie antauen. Aus dem was folgt, hätten Stummfilmkomiker eine schöne Slapstick-Nummer entwickelt. Ich bewältige den widerständigen Transfer auf den Rost des Gasbackofens mit deutlich weniger Humor. Fun fact: Das Zünden des Backofen gelingt näherungsweise problemlos, wenn man den richtigen Drehknopf betätigt.  Während ich mich noch mit dem falschen Drehknopf beschäftigt halte, erinnere ich mich daran, dass meine Mutter den Gasbackofen immer mit einem Fidibus entzündete. Ich vermute, heute weiß kaum noch jemand was ein Fidibus ist, selbst bei meiner Mutter sah der deutlich anders aus, als das auf Wikipedia beschrieben ist. Zur Not hätte ich mir durch Lebenserfahrung und den Rückgriff auf alte Kulturtechniken also zu helfen gewußt. Aber die Sache mit dem Drehknopf macht es deutlich einfacher.

Ansonsten geschieht nicht viel, ich schaue mir die Webseiten mit den aktuellen Ausstellungen an, suche mir auch einige heraus, die ich mir in den nächsten Wochen anschauen werde, aber es ist wenig dabei, was mich wirklich anspricht und zieht. Alles mehr so Zeitvertreib – gut, auch den soll man nicht geringschätzen.

Auf den Plan kommt für morgen das Kunstgewerbemuseum, das kommt meinem Bedürfnis, mir einfach nette Dinge anzuschauen, gerade am nächsten.

19.12.2023, DienstagHeute also das Kunstgewerbemuseum.

Aber vor den Spass haben die Götter das Aufstehen und die Anfahrt gesetzt. Beides nicht ganz ohne Widrigkeiten heute, dennoch kann ich am Ende des Tages sagen, dass alles gut war, wie es war. Das Problem war ein letztlich unnötiger Zeitplan, der besagte, dass ich früh genug aufstehen müsse, um im Museum eine Kernzeit von zwei Uhr mittags bis sechs Uhr abends zu haben. Der Wecker, also das Phone, klingelt, also melodiert, um elf. Ab jetzt also zwei Stunden Zeit bis zur geplanten Abfahrt um eins. Das ist gefühlt zu wenig. Real auch, weil ich noch den Eintrag für gestern nachzuholen habe. In der Folge bin ich etwa zwanzig Minuten zu spät und davon gestresst.

Kommt erschwerend hinzu: es pisst. Ein wenig nur, mehr so ein pisseln. Als ich aus der Haustür gehe, bin ich davon überrascht und kurz davor, einfach zuhause zu bleiben. So war das nicht verabredet. Regen kann ich überall haben, dafür muss ich nicht nach Berlin. Natürlich gehe ich trotzdem los.

Andere finden Regen auch blöd und kommen damit klar, mir gelingt es letztlich auch.

Um es vorwegzunehmen, ich bin um viertel nach zwei im Museum und verlasse es zwanzig vor sechs, das sind rund dreieinhalb Stunden, die deutlich ausreichen. Nicht um alle Exponate angemessen zu würdigen, aber um müde, schmerzende  Füße zu haben und mit der Aufnahmefähigkeit am Ende zu sein. Als Erkenntnis lässt sich das Verallgemeinern, drei Stunden irgendwas plus An- und Abfahrt sind genug. Alles, was darüber hinausgeht, beginnt unangenehm zu werden. Anders zu planen und/oder im Verzugsfall rumzustressen ist völlig unnötig.

Das Museum kommt dem Bedürfnis, mir einfach nette Dinge anzuschauen, mehr als entgegen, über vier Stockwerke verteilt zeigt es ein Übermaß an bemerkenswertem Kunsthandwerk. Mode und Design als benachbarte Disziplinen bekommen umfangreiche eigene Abteilungen.

Elfenbein, Holz, Metall, Glas, alles im Überfluß und in einem Detailreichtum, dass es irgendwann nicht mehr zu fassen ist. Vielleicht deswegen fühle ich mich am wohlsten in der Design-Abteilung, die Exponate sind zumindest in Teilen vertraut, der (zumeist industrielle) Aufwand der Herstellung ist einzuschätzen, manche Dinge könnte ich besitzen. Hier mache ich auch die meisten Fotos.

Sammlungen, ich liebe Sammlungen. Alles ist besser, wenn es Teil einer Sammlung ist.
„Die billige Wohnung“, so vertraut, der Tisch, die Stühle.
La Chaise von Charles und Ray Eames (1948 für den Wettbewerb Low Cost Furniture Design des Museums of Modern Art).

La Chaise ist mein Favorit, ich habe es gerade nachgeschaut, für schlappe 9.000 Euro könnte das Prachtstück in meinem Dome stehen. Gebraucht für 6.000, das ist immer noch üppig. Man muss nicht alles haben.

An zweiter Stelle im Anzahl-der-Fotos-Ranking steht die Sonderausstellung zu Jos´e Canops, dem Hoftischler von Karl dem III. Find‘ ich gut, eine Ausstellung für einen Handwerker. Klar, der König muss auch erwähnt werden, der hat gezahlt und bei ihm stand das Zeug dann rum, aber im namensgebenden Mittelpunkt der Ausstellung steht der Handwerker.

Muss ich ausdrücklich erwähnen, dass ich diese Möbel nicht schön finde, sondern sie bewundere, weil sie so unglaublich gut und aufwändig gearbeitet sind? Gut.

Als ich aus dem Museum komme nieselt es immer noch oder schon wieder. Zu meiner Verwirrung hat die Karten-App Aussetzer und ich bin gezwungen, mit minimaler Assistenz nachhause zu finden. Das macht mein Leben für einen kurzen Moment spannend, eine erzählenswerte Geschichte will aber daraus nicht werden. Am Ende ist alles gut und ich komme ohne Umweg dort an, wo ich gestartet bin.

20.12.2023, Mittwoch
Der Tag gestern ging mit Schreiben, gemäßigtem Medienkonsum und langem Im-Bett-lesen zuende. Vielleicht weil der Nachmittagsschlaf ausfiel, ich mich tagsüber wirklich müde gelaufen hatte und trotzdem lange wach war, schlief ich seit langem eine Nacht mit nur einer kurzen Unterbrechung durch. Meint: keine längere Lesepause, die die Nacht in zwei Nächte teilt. Soviel auf der Plusseite.

Auf der Minusseite stehen leichte Schmerzen im rechten Fußgelenk und ein spürbar belastetes Knie. Letzteres habe ich in der Nacht, in diesem halbbewußten Zustand, wie wir ihn beim Einschlafen oder Aufwachen erleben, schon gespürt („Ah, Knie im Reparaturmodus!“).

Morgens bestätigt der kurze Weg in die Küche den Plan, es heute etwas langsamer anzugehen. Ich fühle mich so alt wie ich bin. An manchen Stellen auch älter. Ein Kurzstreckentag.

Für solche Tage wollte ich mich auf Maps verlassen, „Sehenswürdigkeiten in der Nähe“ anklicken, selbstverständlich welche finden und dann hinlaufen (oder mit wenigen Tramstationen anfahren). Zeigt sich: „Sehenswürdigkeiten in der Nähe“ gibt es nicht mehr, an dieser Stelle ist jetzt mehr Eigeninitiative gefragt, und nach entsprechender Eingabe bekomme ich genau eine Sehenswürdigkeit angezeigt, die mir nahe genug ist, der Platz des 9. November. Zeigt sich weiterhin: Da war ich schon. Gut, nicht genau da, aber sehr in der Nähe, ich bin dort gestern umgestiegen, zweimal. Und werde da auch noch öfter umsteigen, es ist vorauszusehen. Und dann, aber wirklich erst dann, werde ich mir den Platz auch mal ansehen.

Aus dem Kurzstreckentag ist die Kurzstrecke gestrichen, es bleibt ein Tag. Ich schaue aus dem Fenster.

<O>

Der Tag vergeht vor dem Laptop, das ist okay, ich will ja genau diese Möglichkeit, mich tageweise genau wie zuhause am Platz zu verhalten. Und heute ist so ein Tag.

21.12.2023, Donnerstag
Der Tag vergeht ruhig. Am Abend kommt Hannah zu mir in die Wohnung, wir sind zu einer Vorstellung im Starken August verabredet. Aber zuerst eine Kleinigkeit essen und plaudern.

Der Starke August ist eine Mischung aus Kneipe, Bar und Veranstaltungsort, jeden dritten Donnerstag gibt es dort „Zirkus“, drei Menschen präsentieren auf der winzigen Bühne eine Clownsnummer mit Jonglage- und Zaubereinlagen. Wir haben unseren Spass daran, weil wir es wollen und weil das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.

Irgendwann im Laufe des Abends kommt eine Bekannte von Hannah mit einer Hand voll wirklich häßlicher Weihnachtsbrillen vorbei und bietet uns an, damit Fotos von uns zu machen. Ja, klar!

Hier geht’s mit der zweiten Woche weiter.

Regenbögen

15.10.2022, Laubach

Warum sieht man in einigen Fällen sogar einen doppelten Regenbogen? Dabei wird das Sonnenlicht im Regentropfen nicht nur einmal, sondern zweimal reflektiert. Durch die doppelte Reflexion ist der auch als Nebenregenbogen bezeichnete zweite Regenbogen lichtschwächer. Zudem kehren sich dabei durch die unterschiedlichen Brechungswinkel auch die Farben wieder um, sodass Blau bzw. Violett nun außen liegt, Rot dagegen innen.

Der Deutsche Wetterdienst erklärt noch mehr.

Keine Empfehlung

Ich will mich im Folgenden an einer Besprechung versuchen, ich war im Theater und ich war enttäuscht. Andere waren das nicht, das Ensemble bekam üppig Applaus, wirklichen, echten und ernst gemeinten Applaus. Ich klatschte aus Höflichkeit und Respekt vor guten Einzelleistungen, denn, bei aller Kritik möchte ich danken für die Bemühung, mich zu unterhalten und zum Nachdenken zu bringen. Keine kleine Aufgabe, daran zu scheitern ist leicht.

Diese anderen, die da klatschten voller Überzeugung, wußten die etwas, das ich nicht wußte? Das kann gut sein, ich habe keine Ahnung von Theater, kaum Vorwissen zum gebotenen Stoff, ich bin ein naiver Kunstrezipient. Das gilt sehr umfassend, ich schaue mir gerne Dinge, darunter auch Kunst, an, lasse mich dabei auch gerne mal verunsichern, bin nicht böse, wenn ich etwas nicht verstehe oder mag. Ich vermute, mein Zugang zur Kunst ist oft handwerklich geprägt, fragt danach, ob etwas gut „gemacht“ ist. Gerade dort, wo Bedeutung mich nicht sofort anspringt, schaue ich zuerst auf den Herstellungsprozess und erst im zweiten Schritt, was mir das bedeuten soll. Brauchte der Künstler eine Lupe oder ein Baugerüst während seines Schaffens, musste er präzise sein oder Zufälligkeiten in Kauf nehmen, welche Materialien und Werkzeuge hat er verwendet und hätte er für den gleichen Effekt auch andere verwenden können? Soweit es mich betrifft ist die Beherrschung der Mittel die halbe Miete. Ist die gezahlt, bemühe ich mich gerne um die andere Hälfte, Bedeutung.

Meint: ich bin ein naiver Betrachter mit einem eher handwerklich geprägten Zugang. Wenn Was-auch-immer „gut gemacht“ ist, stehen die Chancen gut, dass es auch mit mir „etwas macht“, Gefühle oder Gedanken auslöst, und wenn es das tut bin ich bereit, es Kunst zu nennen. Und zufrieden zu sein, sogar wenn ich ahne, dass ich ungefähr die Hälfte davon nicht verstehe.

Während des Schlussapplauses fand ich mich also im Widerspruch zur Mehrheit des Publikums, das anscheinend bereit war, die offensichtlichen handwerklichen Mängel der Inszenierung zugunsten von …, ja, von was eigentlich, zu ignorieren. Es war die zweite Aufführung des Stücks und leider sind noch keine Kritiken von Menschen die bruflich kritisieren erschienen. Ich habe sie gesucht, in der Hoffnung auf Unterstützung oder wenigstens Erklärung. Gefunden habe Veröffentlichungen zu anderen Inszenierungen der gleichen Bearbeitung des Stücks und eine 326-seitige Doktorarbeit zum Thema „GEORG BÜCHNERS FRAGMENT WOYZECK und seine INTERMEDIALEN BEARBEITUNGEN“, nichts davon wirklich gelesen, weil ich schnell merkte, dass ich, wenn ich diesen Text, den ihr gerade vor Euch habt, schreiben will, mir meine Naivität bewahren muss.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/im-erbsenwahn-100.html

<O>

Über eine Woche später habe ich eigentlich keine Lust mehr, mich mit dem Stück auseinanderzusetzen, aber dieser Artikel ist begonnen, dann will ich ihn auch abschließen. Freund J. gegenüber habe ich meine Eindrücke schon ausführlich „besprochen“, ich muss nur noch sortieren, im Gespräch ging es mehrfach vor und zurück. Mit den Beginn anzufangen ist oft sinnvoll. Eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn gab es im Foyer eine Einführung in das Stück, beim Betreten des Theaters hatte ich ein Programmheft mit einem erläuternden Text bekommen und darin eingelegt die englischen Texte der Songs, jeweils mit einer kurzen Erklärung, was sie uns im Rahmen des Stücks denn zu bedeuten hätten. Ich fühlte mich ausreichend an die Hand genommen und schätze derlei Handreichungen sehr. Erst im nachhinein bemerke ich in mir eine Ambivalenz. Könnte es sein, dass die Verantwortlichen ahnten, wie wenig das Stück sich selbst oder die Art und Weise, es genau auf diese Weise aufzuführen, erklärt. Eine armer, gequälter und eifersüchtiger Mann bringt im Wahn seine Freundin um, Entschuldigung, ein „präkarisierter Arbeiter“ begeht einen „Femizid“; im Stück selbst weißt nichts darüber hinaus. Während der Einführung wurden mir lokale und globale Statisken zu Femiziden vorgelesen, Fakten, die bekannt und auch für sich alleine erschreckend genug sind. Soll ich jetzt im Stück dasitzen, mir einen Femizid anschauen und darüber sinnieren, wie dieser mit der Präkariatserfahrung des Mörders zusammenhängt. Ja, soll ich wohl.

Das Stück beginnt und anfangs bin ich unterhalten. Das ändert sich im Verlauf und ein Teil meiner Unzufriedenheit ist wahrscheinlich dem Fakt geschuldet, dass ich zuviel Zeit hatte, mir Gedanken zu machen oder auf Details zu achten. Den Schauspielenden gelang es nicht, meine Aufmerksamkeit zu halten und so konnte ich sie anderem zuwenden. Wäre dies eine Filmbesprechung würde ich schreiben, dass die Immersion zu oft gebrochen wurde und ich mich dadurch den schlechten Spezialeffekten widmen konnte.

Aber bevor ich mich den Nebensächlichkeiten widme, ich habe zwei Hauptkritikpunkte. Zum einen der Gesang des männlichen Ensembleteils, den ich so schlecht fand, das ich zunächst mißverständlich formulierte, „die können nicht singen“. Dank Freund J., der selbst singt und ungläubig nachfragte, kann ich jetzt präzisieren. Die von mir Kritisierten können schon jeden Ton treffen und auch halten (zumindest soweit das meinen eingeschränkten Beurteilungsrahmen betrifft) , aber sie haben nicht die Tragkraft oder das Volumen, das in Reihe 10 noch etwas Hörenswertes ankommt. Besonders dann immer zu bemerken, wenn das Orchester gerade aussetzt. Apropos Orchester, das hat wirklich Spaß gemacht und war zu jedem Zeitpunkt hörenswert; nur um nebenbei auch mal zu loben.

Hätte ich nur einen Satz für diese Kritik zur Verfügung, er lautete: Die hätten doch wissen müssen, dass sie nicht genug Leute haben, die singen können!

Mein zweiter Hauptkritikpunkt ist die Besetzung des titelgebenden Woyzek. Allem voran ständig zu schnell und manchmal unverständlich sprechend, ist er auch vom körperlichen Typus her nicht geeignet, eine Person zu spielen, die Armut und Hunger erleidet. Zum Zeitpunkt der Handlung zehrte Armut noch aus und führte nicht wie heute zu durch Fehlernährung verursachtem Übergewicht. Mein Woyzek wäre zehn Zentimeter größer und zwanzig Kilo leichter gewesen. Mit einem Austausch von Rollen wäre das auch ohne Verlust machbar gewesen. Also vermutlich, was weiß ich schon, was da sonst noch so in die Entscheidungen hereinspielt.

Ab jetzt kommt nur noch die Inszenierung betreffender Kleinkram. Eine verschenkte Chance und deswegen ein unnötiger Schnörkel ist die Bestzung der Marie durch drei Darstellerinnen, die zu jeden Zeitpunkt gemeinsam auf der Bühne sind. Es solle gezeigt werden, das die Marie ganz unterschiedlich aussehen kann. Ach. Und sonst so? Wo bleibt da der Feinsinn, wir könnten von verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen oder Persönlichkeitsanteilen sprechen, vielleicht verschiedene Kulturen und damit die globale Dimension des Femizids andeuten. Vor allem aber, wir könnten nicht nur darüber sprechen, sondern es auch ausspielen. Leider geschieht das nur ein einziges Mal während des Stückes, wenn eine Marie sich deutlich in den Tambourmajor verguckt, während die anderen beiden sich lieber schnell vom Feld machen. Ansonsten haben wir halt drei Marien, die verschieden aussehen, aber sonst sehr gleich agieren.

Sagte ich drei? Eigentlich sind es sechs, drei weitere Marien bilden einen Background-Chor und treiben sich gelegentlich auch noch auf der Bühne mit herum. Vermutlich braucht die Inszenierung sie irgendwie gesangstechnisch, ansonsten scheinen sie mir verzichtbar. Auch hier, einen Versuch gibt es, mit ihnen etwas zu machen. In einer Szene tragen sie High Heels, laufen damit von links nach rechts über die Bühne, wo sie sich dekorativ hinsetzen, zuvor aber die High Heels ausziehen. Ganz ehrlich, das ist mir zu platt.

Bleibt das Bühnenbild, eine steile, hellgrüne Treppe, die irgendwas bedeuten soll, das ich schon vergessen habe. Assoziationen gäbe es zahlreiche, von der Karriereleiter bis zu den Höhen und Tiefen des Lebens oder des sozialen Standes. Die Auftritte des Hauptmanns ganz oben, der Doktor etwas unterhalb, der Tambourmajor, der oben seine Erfolge feiert und unten säuft und hurt. Das hat schon alles Sinn. Ich wollte das eigentlich kritisieren, aber jetzt, wo ich es aufgeschrieben habe, ist mir meine Kritik entglitten. Auch gut, wir halten fest, das Bühnenbild war okay.

Vor allem aber, die Schauspieler haben darauf Großes geleistet. Sie sind die je nach Körpergröße waden- bis kniehohe Treppe hoch und runtergegangen, auch gestürmt, gelegentlich rückwärts, alles mit vermeintlicher Mühelosigkeit. Eine körperliche Leistung, die ich würdigen möchte. Aber, jetzt fällt es mir wieder ein, diese vermeintliche Mühelosigkeit passt auf unbestimmte Weise nicht zu meinen obigen Assotiationen. Das war es, was mich an den Bühnenbild irritierte. Genauer kann ich das nicht benennen.

Das war es mit meinen Beobachtungen. Ich bin der erste, der zugibt, dass diese Beobachtungen fehlerhaft oder unvollständig sein könnten, ich bin kein gebildeter oder geübter Theatergänger, möglichweise sind mir entscheidende Dinge entgangen. Womit ich mir keineswegs die Berechtigung absprechen möchte, zu kritisieren. Ich halte das, was ich gesehen habe, in Teilen für schlecht, ich möchte die Erfahrung nicht wiederholen oder weiterempfehlen. Das Stück hat mich nicht erreicht und blieb hinter seinen guten Ansätzen zurück. Besprechung Ende.

<O>

Ich möchte noch einmal zurückkommen auf mein Selbstbild als naiver Betrachter und den damit einhergehenden Zweifel, ob ich denn überhaupt „gültig“ kritisieren kann. Ich glaube ja, als naiver Betrachter steht es mir zu, das betreffende Werk auf seiner Erscheinungsebene zu kritisieren, zu mögen oder abzulehnen. Umso schöner, wenn ich es begründen kann. Danach können wir gerne tiefer oder Meta gehen.

Ich mag Kunst, die ist wie Disneys „Aladin“, der Film wird von jedem Kind verstanden und gemocht, hat aber so viel erwachsenen Humor oder popkulturelle Referenzen, dass auch den Eltern der Kinobesuch Spass macht. So sollte auch ernste Unterhaltung sein, mehrschichtig und „kind“gerecht. Woyzek war das nicht.