Aufenthalt im Boddhi Zendo – Teil 2

Heute habe ich den zweiten Teil der Zendo-Tagebücher, den Aufenthalt im Jahr 2000, eingestellt. Das ist rund 1 Jahr später als gedacht und 2 Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Teils.

 

Dieser zweite Teil unterscheidet sich wesentlich vom ersten Teil. Das Leben im Zendo wird kaum noch geschildert, stattdessen liegt der Schwerpunkt auf meiner jeweiligen Befindlichkeit. Fiebrig, erkältet, einsam, voller Selbstzweifel, identitätskriselnd und grenzdepressiv,  im Kampf mit Sex & Crime oder der Außenbewertung, alles dabei.

Wer sich noch nie mit Zen beschäftigt hat, wird hier wenig darüber erfahren, Praktizierende aber (oder solche, die viel darüber gelesen haben) werden vieles davon wiedererkennen. Sich dem zu stellen, was in uns auftaucht, wenn wir zur Ruhe kommen (wollen), ist Teil des Weges und die Aufgabe besteht darin, es zunächst sein und dann gehen zu lassen.

Einige der oben angesprochenen Themen begleiten mich bis heute. Das ist nicht der Zen-Praxis anzulasten, zuerst, weil ich nicht praktiziere, besonders aber, weil es nicht Ziel der Praxis ist, uns auf wundersame Weise leidensfrei zu machen.

Das ist eine starke Aussage, der manche widersprechen würden. Ist nicht die Befreiung vom Leiden das zentrale Thema im Buddhismus? Ich will diese Diskussion nicht führen (habe auch keinerlei Kompetenz, das zu tun), nur eine Idee zum Selbst-weiterdenken: Meditationspraxis löst nicht das Leiden auf, sondern die Ich-Illussion des Leidenden. Auch dafür gibt es zarte Hinweise in den Tagebüchern, wenn man sie aufzufassen weiß.

Einführung zum ersten Teil
Reisetagebuch Indien, Boddhi Zendo, 25.1. bis 25.2.1999
Einführung zum zweiten Teil (dieser Text)
Reisetagebuch Indien, Boddhi Zendo, 12.1. bis 7.2.2000

Europa Level 75

Ich mag solche Übersichten, obwohl sie in ihrer Vollständigkeit fast schon irreführend sind. Österreich ist nur drin, weil dorthin die Abschlussfahrt der Berufsfachschule ging. Ist fast fünfzig Jahre her. Aktueller, aber ebenso schwierig in der Einordnung, ist die Woche in einem Tagungshaus, das nur zufällig in Luxemburg lag.Auch die Abgrenzung zwischen „stayed here“ und „visited here“ ist für englische Muttersprachler vermutlich einfacher. Das Internet gab bei oberflächlicher Recherche nicht allzuviel dazu her. Ich habe das dann für mich in aller Unschärfe entschieden: „to stay“ ist plus/minus eine Woche.

Café Nachtlicht – Zusammen ist man weniger allein

Seit einiger Zeit engagiere ich mich im Café Nachtlicht. Das Café gibt’s schon länger, seit kurz vor Corona, es musste dann schließen und konnte erst in diesem Jahr im Mai wieder öffnen. Seitdem bin ich dabei, aufmerksam darauf wurde schon in der ersten, kurzen Öffnungsphase, damals sah ich mich allerdings eher vor der Theke. Winterdepressiv wie ich war und bin, hätte ich gerne so ein Angebot wahrgenommen, um mich etwas normaler zu fühlen (obwohl ich schon damals dachte, beim Personal nachzufragen, ob sie denn noch Menschen hinter der Theke bräuchten).

Aber von welchem Angebot spreche ich? Das kurz und gut zu beschreiben finde ich immer etwas schwierig (Das kann aber – ich trage an dieser Stelle nach – die Gießener Allgemeine in einem Artikel am 16.6.2023).

Kurz kann der Flyer des Cafés auch nicht, aber er beschreibt auf der ersten Seite recht anschaulich die Lücke in der psycho-sozialen Versorgung, die das Café füllen möchte:

In Stadt und Landkreis Gießen finden Menschen, die am Wochenende in nächtliche psychische Krisen geraten, oder dies befürchten, bisher viel zu wenig nicht psychiatrische Hilfen oder Unterstützungsangebote.

Die Angebote der etablierten Beratungsstellen sind weder am Wochenende noch in den Nachtstunden erreichbar, da diese eher den „üblichen“ Geschäftszeiten folgen. Andererseits ist das klassische Beratungsgespräch, egal ob persönlich oder telefonisch, auch nicht immer das gewünschte Hilfsangebot der Betroffenen.

Einsamkeit, kreisende Gedanken, oder die sprichwörtlich auf den Kopf fallende Decke können psychische Krisen triggern und das Wochenende bis zum nächsten Hilfsangebot am Montag, zur unendlich weiten Distanz werden lassen. Unter Menschen sein, in Kontakt kommen, Ablenkung haben, spielen, reden, oder einfach nur still in Gesellschaft ein Getränk genießen, helfen dabei krisenhafte Momente zu überwinden. Leider erscheinen vielen Menschen in dieser Situation die Zugangsbarrieren vor entsprechenden öffentlichen Angeboten in Gießen unüberwindbar. Teilhaben in der Gießener „Nachtgesellschaft“ – dafür reichen die eigene Verfassung und/oder das Geld dann nicht mehr aus.

Mit dem Café Nachtlicht möchten wir Samstagnacht ein[en] Ort bieten, an dem dies möglich ist.

Im Flyer folgt an dieser Stelle ein kleiner Werbeblock, den ich nach hinten schiebe. Weiter mit dem Angebot:

Es gibt heiße und kalte nicht-alkoholische Getränke und kleine Snacks
– Alles wird zum Selbstkostenpreis verkauft
– Das Café-Team steht nicht nur mit „,Tat“ sondern bei Bedarf auch gerne mit „Rat“ zur Verfügung

[Es gilt:] Anstand, keine Drogen, kein Alkohol

Das Café Nachtlicht…
… liegt mitten im Herzen von Gießen, in der Walltorstraße 17
… will unterstützen ohne zu stigmatisieren
… will Hilfesuchende und Hilfsbereite zusammenbringen
… will Profis und Laien zum gemeinsamen sozialen Engagement einladen

Schaubild:
Café Nachtlicht (im Mittelpunkt, sternförmig verbunden mit den folgenden Themen)
Gemeinschaft
Inklusion
Austausch
Essen und Trinken
Unterstützung bei Krisen
Empathie und Verständnis
soziale Teilhabe
Rat und Hilfe

Wo und wann kann man das Café besuchen?
Im Freiwilligenzentrum für Stadt und Landkreis Gießen,
Walltorstraße 17, 35390 Gießen
Telefon: 0641 97225424
projekte@freiwilligenzentrum-giessen.de
www.freiwilligenzentrum-giessen.de

Jeden Samstag von 18:00 bis 0:00 Uhr

Dieses Projekt wird Ihnen präsentiert von … – der leicht veränderte Werbeblock

Das Café Nachtlicht basiert auf einer Kooperation zwischen dem Gesundheitsamt des Landkreis Gießen und dem Freiwilligenzentrum für Stadt und Landkreis Gießen e. V.

Es unterstützen uns professionell
– Esther Demand – Coffee Bay,
– Meinhard Rediske – Siebenkorn
– Dr. Sara Lucke – Vitos Gießen-Marburg,
sowie ehrenamtlich
– mehr als 30 engagierte Helferinnen und Helfern, die das Herz des Café Nachtlicht bilden, in 3-Personen-Teams sind sie an den Samstagen für die Besucher da.

Diverse Logos:
Landkreis Gießen
FREIWILLIGENZENTRUM für Stadt und Landkreis Gießen e. V.
siebenkorn DER REINE GENUSS
vitos: Gießen-Marburg

Viel mehr gibt’s heute nicht. Vielleicht beschreibe ich irgendwann mal einen typischen Abend hinter der Theke. Aber das wird unspektakulär.

Aufenthalt im Boddhi Zendo in Indien

Eine Art Vorwort

Schon im letzten Winter begann ich mein Indien-Reisetagebuch aus dem Jahr 1998 mittels Spracheingabe zu digitalisieren und vor wenigen Tagen habe ich diese Unternehmung fortgesetzt. Wieviel davon ich in diesen Blog aufnehme ist noch unklar. Aber einen Teil dieser Reise, den 4-wöchigen Aufenthalt im Boddhi Zendo, habe ich gerade hier eingestellt. Nehmt diese Zeilen als eine Art Vorwort dazu.

1998 war es deutlich schwieriger, an Informationen über das Boddhi Zendo zu kommen als heute  (hier z.B. ein neueres Video). Das Internet war kaum 10 Jahre alt, Browser gab es weniger als fünf Jahre, ich selbst hatte zwar einen Computer, aber noch keinen Internetzugang. Vor allem aber, es gab nicht die Fülle an Inhalten, wie wir sie heute gewöhnt sind. Kurz, als ich nach Indien aufbrach wußte ich nur, dass es das Boddhi Zendo gab. Wenn es möglich war, wollte ich es finden und eine begrenzte Zeit dort verbringen. Fixiert darauf war ich nicht, es war eine von mehreren Ideen, was ich während meinem sechsmonatigen Aufenthalt in Indien tun wollte.

Über Zen hatte ich bis dahin nur gelesen. Meine Erfahrungen beschränkten sich auf sporadische Versuche alleine zu üben, zu meditieren. Aber wie vielen anderen ist es mir nie gelungen, eine Regelmäßigkeit zu entwickeln, die für jedes Üben entscheidend ist. Dennoch waren diese Versuche wichtig, denn ich wusste zumindest, wie man sitzt. Ich wußte die Meditationshaltung einzunehmen und meinen Atem zu zählen. Ich kannte meinen unruhigen Geist und meine schmerzenden Fußgelenke. Kurz, auf sehr unbestimmte Weise wußte ich, worauf ich mich einlassen würde, wenn ich das Zendo fände.

Schließlich traf ich in Bodhgaya, dem touristisch gut erschlossenen Ort, an dem Buddha Erleuchtung fand, einen anderen Reisenden, der das Zendo besucht hatte und mir die Adresse gab. Die lag so ziemlich am anderen Ende von Indien, was aber nur nur bedeutete, dass es etwas länger dauerte, bis meine Reiseroute mich dort hinführte.

Vor Ort war musste ich dann noch einige Tage warten, bis ein Zimmer frei wurde, da ich nicht angemeldet.  Aber wie überall in Indien bewiesen auch hier die Menschen vor Ort Flexibilität. Eine (ent)spannende Zeit begann.

Die Tagebuchaufzeichnungen selbst werde ich unkommentiert und im Wesentlichen unverändert lassen. Dennoch gibt es Dinge, die ich aus persönlichen Gründen nicht teilen möchte, zum Beispiel Details meiner damaligen familiären Situation oder sexuelle Phantasien. Das ist unmittelbar einzusehen und bedarf keiner Erklärung. Von anderen Dingen, die ich gerne für mich behalten möchte, ist mir allerdings selbst nicht klar, warum das so ist. Es geht um meine Koan-Praxis, das zu lösendene Koan und Details zum Dokusan. Dabei könnte ich mich leicht auf traditionelle Gründe herausreden. Es gibt Linien und Meister, die strikt davon abraten. Wie die Haltung von Ama Samy, dem Gründer und Meister des Boddhi Zendo, dazu ist, weiß ich nicht; ich erinnere keine expliziten Aussagen von ihm dazu. Im Zendo-Alltag war allerdings – auch bei den älteren Schülern – keine spezielle, auf das Thema bezogene Zurückhaltung zu spüren.

Die entsprechenden Textstellen im Tagebuch unkommentiert herauszunehmen wäre nicht schwer und würde den Textfluß nicht stören. Aber da regt sich mein Chronisten-Gewissen, den Koan-Praxis und Dokusan gehören ja unzweifelhaft zum Zendo-Alltag, ganz so, wie Gemeinschaftsarbeit (Samu) oder Meditation. Also werde ich die Auslassungen kennzeichnen und Euch stattdessen hier mit Zitaten aus Wikipedia vertrösten.

Dokusan
Mit Dokusan (jap. 独参, „Einzelbesuch“) bezeichnet man die Begegnung unter vier Augen mit dem Meister im Rinzai-Zen […].

Dokusan ist eine der tragenden Säulen der Zen-Übung. […] Häufig dient das Dokusan der Bearbeitung von Kōans und der Überprüfung des Übungsfortschritts des Praktizierenden und seiner/ihrer Annäherung an die „Wesensschau“ (Kenshō).

Dokusan unterliegt einem festen Ablauf, der den Gang zum Raum des Meisters, das Eintreten in den Raum, das Grüßen des Meisters, den Ablauf des Gesprächs und das Verlassen des Raumes umfasst. […] Der Meister kann zu jedem Zeitpunkt die Begegnung durch das Läuten einer kleinen Handglocke beenden. Dann muss der Schüler sich sofort – unter Einhaltung aller üblichen Rituale – entfernen und weiter an seiner Aufgabe arbeiten.[…]

https://de.wikipedia.org/wiki/Dokusan

Konkret sah das so aus, dass wir Schüler dann schweigend in einer Reihe vor dem Raum standen, der für dieses Ritual vorgesehen war, und darauf warteten, das das Glöckchen läutete. Mich hat diese Situation immer ziemlich angespannt. Die Themen: Wie setze ich mich zu einer Autorität in Beziehung? Wohin mit den Gefühlen der Unterlegenheit? Was zum Buddha mache ich hier eigentlich?

Zumindest die letzte Frage ist oberflächlich leicht zu beantworten; ich versuche, ein Koan zu beantworten.

Ein Kōan […] ist im […]chinesischen Chan- bzw. japanischen Zen-Buddhismus eine kurze Anekdote oder Sentenz, die eine beispielhafte Handlung oder Aussage eines Zen-Meisters, ganz selten auch eines Zen-Schülers, darstellt.

Verlauf und Pointen dieser speziellen Anekdoten wirken auf den Laien meist vollkommen paradox, unverständlich oder sinnlos.[…] Trotz ihrer vordergründigen Unvernünftigkeit und Sinnlosigkeit verfügen sie über einen historischen Kern, der auch intellektuell nachvollziehbar ist und Aspekte der Chan-Philosophie ausdrückt. Im Chan und Zen werden Kōans als Meditationsobjekte benutzt.

Das bekannteste Kōan, das inzwischen auch im Westen Allgemeingut geworden ist, ist die Frage nach dem Geräusch einer einzelnen klatschenden Hand […].

https://de.wikipedia.org/wiki/K%C5%8Dan

Die Antwort lässt sich nachlesen. Nicht nur für dieses, sondern für jedes Koan. Dennoch ist eine authentische Antwort gefordert. Das Dokusan als Situation ist in sich eine paradoxe Aufgabe. Eine Aufgabe, der jeder auf sehr persönliche Weise begegnet. Womit ich mir am Ende dieser Zeilen doch noch klar geworden bin, warum ich diesen Teil der Tagebuchaufzeichnungen nicht mit Euch teilen möchte. Er ist nicht nur persönlich, sondern zu persönlich.

Warum? Abschließend nochmal Wikipedia:

Ähnlich einer therapeutischen Sitzung ist die Beziehung zwischen Schüler und Meister oft stark aufgeladen und es kommt zu großen geistigen Kämpfen. Ist der Meister „sein Salz wert“, dann wird der Schüler allerdings auch nach größten Frustrationen immer wieder durch sehr dichte Momente von Erfahrung und im Durchbrechen der Schranken des Koans zu tiefen Einsichten gebracht, woraus im Laufe der Zeit eine tiefempfundene Verehrung für den Lehrer entsteht. Die langfristige Aufgabe des Meisters (Roshi) ist, wie die eines jeden Lehrers oder auch Therapeuten die, dass der Schüler sich vom Meister völlig emanzipiert und schließlich abnabelt (was der Verehrung keinen Abbruch tut). Im Zen spricht man sogar davon, dass ein Schüler, der „nur“ genauso gut ist wie sein Meister, diesem nicht ebenbürtig ist. Darum soll der Schüler die „Schultern des Meisters besteigen“ – darin spiegelt sich die geistige Freiheit des Zen.

Nun, von alldem bin ich weit entfernt. Und dennoch heute etwas näher, als ich es damals war. Deswegen möchte ich Euch abschließend daran erinnern, dass Ihr etwas lesen werdet, das ich heute so an einigen Stellen nicht mehr schreiben oder denken würde.

Hier geht es zu Tagebuchaufzeichnungen.