Nicht erst seit der Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften an Elinor Ostrom erleben die Gemeingüter eine Renaissance. Die gemeinschaftliche Verwaltung von Ressourcen macht Hoffnung auf ein besseres Wirtschaften. Der Gemeingüter-Report (Download PDF, 52 Seiten, 2MB) stellt die „Allmende“ in leicht verständlicher Form vor.
Silke Helfrich, Rainer Kuhlen, Wolfgang Sachs und Christian Siefkes zeigen auf, wo Gemeingüter gesellschaftliche Chancen bieten. Beispiele aus Natur, Gesellschaft und Kultur machen anschaulich, auf wie vielen Feldern Ressourcen gemeinschaftlich verwaltet und genutzt werden können. Zugleich machen die Autor_innen aber auch deutlich, dass diese Ressourcen in Gefahr sind. Es bedarf einer starken Vision, um sie bewahren.
Das Liegstuhl-Beispiel
Was sind Gemeingüter? Heinrich Popitz erklärt es am Beispiel von Liegestühlen auf einem Kreuzfahrtschiff. Es gibt weniger Plätze als Passagiere, doch solange die Liegen frei werden, sobald jemand aufsteht, und die Urlauber sich immer wieder abwechseln, kommen alle in den Genuss der Sonne. Beginnt jedoch eine Gruppe, Liegestühle dauerhaft in Beschlag zu nehmen, bricht diese Ordnung zusammen. Die Mehrheit der Passagiere hat das Nachsehen.
In dem Gleichnis sind Liegestühle eine begrenzt verfügbare Ressource – so wie Wälder oder Fischgründe. Anfangs werden sie als Gemeingüter verwaltet. Sie stehen niemandem allein zu. Doch wenn keine fairen und nachhaltigen Nutzungsrechte an diesen Dingen ausgehandelt oder diese Regeln gebrochen werden, leidet die Lebensqualität der Gemeinschaft. Im Miteinander und nicht im Gegeneinander müssen also tragfähige Lösungen gefunden werden.
Gemeingüter in verschiedenen Bereichen
Gemeingüter lassen sich in vielen Bereichen schaffen. Die Autoren des Reportes stellen vier Kategorien auf: In der Natur sind es unter anderem Luft und Wasser, Böden und Wälder; im Sozialen Plätze und Parks, Sport- und Freizeittreffs, aber auch Feierabend und Ferien. Sprache, Gebräuche und Wissen sind kulturelle Gemeingüter. Eine besondere Rolle spielen Gemeingüter im digitalen Raum, wo Software, aber auch Videos, Bilder und Texte häufig als Gemeingüter behandelt werden.
Gemeingüter setzen sich aus drei Grundbausteinen zusammen: Den Ressourcen, den Menschen sowie den Regeln und Normen. „Die Idee der Gemeingüter ist ohne die Bindung an konkret handelnde Menschen in bestimmten sozialen Umgebungen nicht denkbar“, erklärt der Report: Menschen nehmen die „Baustoffe“ in Anspruch.
Regeln und Normen ermöglichen es, diese Komponenten zu verbinden. Sie sollten weitgehend von der Gemeinschaft der Nutzer einer Ressource selbst bestimmt werden. „Das gelingt nur, wenn eine Gruppe von Menschen ein gemeinsames Verständnis vom Umgang mit einer Ressource entwickelt“, schreiben die Autoren. Der Historiker Peter Linebaugh bezeichnet diesen sozialen Prozess der Institutionalisierung von Gemeingütern als „commoning“.
Vielfach sind Gemeingüter unabdinglich für das Überleben des Einzelnen und das Funktionieren der Gesellschaft. Deshalb hat jeder Mensch einen Anspruch auf Teilhabe an den Naturgütern, schreiben die Autoren – unabhängig vom Privateigentum an ihnen. Genauso, wie Luft und Wasser das Überleben ermöglichen, sind soziale Gemeingüter „eine Voraussetzung dafür, dass Sozialbeziehungen florieren können. Wir alle profitieren von Räumen und Zeiten, die ungerichtete und unprogrammierte Begegnungen ermöglichen.“
Grundlage kreativer Tätigkeit
Kulturelle Gemeingüter bilden die Grundlage jeglicher kreativen Tätigkeit. Wir stützen unser Schaffen auf die Vorleistungen vorangegangener Generation, wenn wir für unser Tun aus Sprache, Wissen und Gebräuchen schöpfen. „In gleicher Weise müssen die Leistungen der Gegenwart an kommende Generationen frei zugänglich weitergegeben werden.“ Sie dürfen nicht von Einzelnen in Beschlag genommen werden, wenn aus ihnen Neues entstehen soll.
Das gerade das aber geschieht, macht der Gemeingüter-Report an markanten Beispielen deutlich. Ein südkoreanisches Unternehmen versucht, 1,3 Millionen Hektar madagassisches Farmland zu pachten. Die Laufzeiten des Urheberrechtsschutzes werden verlängert, um Rechteinhabern auch Jahrzehnte nach dem Tod der Schöpfer von Figuren wie Mickey Mouse noch Gewinne zu ermöglichen. Der Allgemeinheit werden diese Ressourcen so vorenthalten.
Gegenbeispiele zeigen, dass es anders gehen kann. Freie Lizenzen ermöglichen die Entwicklung von herausragender Software, indem sie die Offenlegung ihrer Funktionsweise ermöglichen. Das „Copyleft“-Prinzip stellt dabei sicher, dass die Programme Gemeingüter bleiben: Jeder, der die Software weiterentwickelt, wird verpflichtet, sie wieder unter einen Freien Lizenz zu veröffentlichen.
In Äthiopien dagegen hilft eine deutsche Organisation Bauern, den verbleibenden Urwald als Gemeingut zu bewirtschaften. Dorfgemeinschaften haben sich zu Waldnutzer-Organisationen zusammengeschlossen, um ihre Kaffee-Ernte besser zu vermarkten. Gemeinsam stecken sie ein Gebiet ab und legen dafür Rechte und Regeln, aber auch einen Management-Plan fest, um wirtschaftliche Nachhaltigkeit zu garantieren.
Unter dem Eindruck solcher positiver Beispiele schließt der Gemeingüter-Report mit einer Vision. Eine „Ökonomie des Teilens“, in der Geld nur eine nachgeordnete Rolle spielt, während das Gedeihen des gemeinsamen Besitzes im Vordergrund steht, erscheint greifbar.