24998 – Unterstützung

In einem meiner Berufe bin ich Sozialpädagoge und als solcher findet mensch sich gelegentlich in Seminaren wieder, die „etwas mit Dir machen“, oft genug auch Befindlichkeiten berühren, die lieber unberührt blieben. Jahre zurück durfte ich mich einmal einem Teamkollegen mit der folgenden Karte erklären:

Ich habe mir die Karte damals mitgenommen, weil sie zu diesem Zeitpunkt thematisch auch in meiner Beziehung wichtig war. Seitdem hängt sie an jedem meiner Pinboards und interessiert niemanden mehr.

Aber wer weiß, vielleicht bringt sie die eine oder den anderen von Euch ins Gespräch. Oder wenigstens ins Nachdenken.

24994 – Buddy

…, in diesem Buch jedenfalls, es ist immer noch „Spätestens im November“ von Hans Erich Nossack, heißt das kleine Kind der weiblichen Hauptfigur Günther.

Das Buch ist von 1955. Ich weiß, es war damals nicht weiter verwunderlich, dass ein Kind Günther hieß. Und obwohl ich doch fast ausschließlich ältere Literatur lese, komme ich meiner Erinnerung nach zum ersten Mal hartnäckig mit einem Namen überhaupt nicht klar. Ein Kleinkind namens Günther, es funktioniert in meinem Kopf einfach nicht, auch nach fünfzig Seiten noch nicht. Es bleibt ein Störfaktor. Ich lese das die ganze Zeit wie mit einer wiederholt aufpoppenden Fehlermeldung im Hirn: Achtung, Name falsch gewählt.

Es fühlt sich äußerst merkwürdig an. Dabei wäre dieser Günther, dessen Mutter ihn ausgerechnet für einen dahergelaufenen Dichter verlassen hat, jetzt in seinen Siebzigern. Es ist gar nichts Ungewöhnliches daran. Alle Günther müssen doch einmal als Kleinkind angefangen haben. Mir ist nur genau an dieser Stelle gerade etwas Vorstellungsvermögen abhanden gekommen.

Buddenbohm & Söhne

Der Text oben ist aus einem Blog, den ich regelmäßig lese und hier auch schon empfohlen habe.  Er hat mich an ein Gespräch erinnert, dass ich acht Tage zurück mit Cl. hatte. Wir standen an der Theke des Nachtlichts und sprachen scheinbar Belangloses. Mein Bruder G. lässt sich von Freunden schon lange Buddy nennen und irgendwie kamen wir darauf, dass ich ihn immer noch G. rufe, aus langer Gewohnheit und weil er für mich eben G. ist. Keine tiefere Wendung, kein Disput, wir smalltalk·ten.

Cl. ist eine voluminöse Frau mit einer tiefen, tragenden Stimme, die die Angewohnheit hat, Gesagtes zu wiederholen, so als müsse sie es von sich selbst hören, um darüber nachzudenken. Und wie sie meine Worte solcherweise innerer Bearbeitung zuführt, komme ich mir wenig überzeugend vor und auf eine unbestimmte Weise auch unzureichend. Nicht, dass ich Cl. von irgendetwas hätte überzeugen müssen, wir hätten auch über die Milch im Kaffee reden können, auf den sie wartete.

Und genau dieses Gefühl des Ungenügens fiel und fällt mir wieder ein, wenn ich den obigen Text lese. Mit einigen Stunden Abstand kann ich das Geschilderte auch mit meinen seltsam-selbstzweifelnden Gefühlen an der Theke zusammenbringen. Ich projiziere, dass erwähnt-fiktiver Günther und auch mein Bruder G. ihren Namen im späteren Leben mit der gleichen „aufpoppenden Fehlermeldung im Hirn: Achtung, Name falsch gewählt“ betrachten. Klingt Buddy nicht viel netter als G. und weckt es nicht die besseren Assoziationen? Ganz abgesehen davon, dass der Buddy von heute auch der bessere Mensch ist.

G. oder Buddy, Hose wie Jacke, woher das schwierige Gefühl? Nun, weil es eben nicht Hose wie Jacke ist (seltsame Redewendung). Hose und Jacke bezeichnen zwei grundsätzlich verschiedene Kleidungsstücke, was jeder bezeugen kann, der in der Öffentlichkeit auf das Eine oder das Andere verzichtet. Nun habe ich im Bekannten- und Freundeskreis drei Personen, die ich unter einem anderen Namen kennengelernt habe, als dem, den sie heute verwenden (eine weitere sieht noch vom Namenswechsel ab, hat aber schon darüber nachgedacht). Bei allen ist das keiner weiteren Erklärung bedürftig, ich nenne sie bei dem Namen, den sie auf sich angewendet hören möchten, dem Namen mit dem sie sich identifizieren, dem Namen, der sie sind.

Ich glaube, in diesem kurzen Gespräch an der Theke bin ich mir drauf gekommen, dass ich meinen Bruder anders – schlechter – behandle als die Menschen in meinem Freundeskreis. Dass ich ihm verweigere, heute ein anderer zu sein, als der, der er war. Und dass ich nicht, oder nur zögernd, anerkenne, wer er heute ist.

Kommt eine Brise bildungsbehafteter Standesdünkel hinzu, mein Bruder ist ein einfacher Mensch in dem Sinn, wie „Studierte“ (ein Wort aus einer anderen Zeit) das gerne von Hauptschülern annehmen. Er könnte nicht halb so gut wie mein Bekanntenkreis begründen, warum es heute für ihn wichtig ist, Buddy zu sein. Er kann das fühlen, „irgendwie“ auch wissen, wortreich dafür eintreten kann er nicht. Dieses intuitive Wissen darum, wer er ist, muss ihm zugestanden werden. Auch von mir.

Womit wir wieder an der Theke stehen und ich mich unwohl mit mir fühle. Bei einem Namen zu bleiben, mit dem die Person sich nicht mehr identifiziert, ist nicht überzeugend, ist unzureichend. Sogar, oder vielleicht gerade dann, wenn es der eigene Bruder ist. Ich habe mich in der Situation zu recht unwohl gefühlt, nur verstanden habe ich es nicht. Aber heh, – besser spät, als nie – ich mache das in Zukunft anders. Buddy ist jetzt Buddy.

<O>

Das Tagewerk als Update im Hauptartikel.

24993 – Drei von drei

angelegt an 24922
24976

2019, Technikmuseum Speyer

Auch diesen Monat – so wie in den zwei Vormonaten – eine Spiegelung. Ich liebe Dreier-Serien, was Euch betrifft seid Ihr durch mit Spiegelungen.

Es sei denn, Euch ist gerade langweilig und Ihr beginnt Euch zu fragen, was der Fotograf Euch sagen wollte. Nebeneinandergelegt bilden die drei Fotos alles ab, was mir wichtig ist im Leben: Kaffee, Domes, Schreiben (auf Reisen, bei FreundInnen), Ausstellungen, Partnerschaft. Soweit das, was zu sehen ist …