Blaupausen sind nicht die Lösung

Ich zerbrach mir den Kopf darüber, welche Regeln funktionierten und welche nicht, bis mir klar wurde: Es gibt kein allgemeingültiges Regelwerk. Es geht nicht darum, welche Regeln es gibt, sondern dass es Regeln gibt. Ich nannte das Design-Prinzipien. Gemeinschaften, die ein klares Regelwerk entwickelt hatten, konnten über lange Zeit erfolgreich sein.

Auch jene, die Mechanismen zur Lösung von Konflikten entwickelt hatten, waren erfolgreich. Ich kam auch zu dem Schluss: Die Menschen waren bei der Verwaltung von Gemeingütern vor allem dann erfolgreich, wenn sie ihre eigenen Regeln entwickeln konnten.

Elinor Ostrom ist Professorin für Politikwissenschaft an der Indiana University in Bloomington. Sie ist die erste Frau, die mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet wurde. Ostrom habe gezeigt, „wie gemeinschaftliches Eigentum von Nutzerorganisationen erfolgreich verwaltet werden kann“, heißt es in der Würdigung der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften.  Das ganze Interview mit ihr gibt es hier.

Alles bleibt anders

Unsere kleine Gemeinschaft ist schon seit einiger Zeit dabei, die Grundlagen des Zusammenlebens neu zu überdenken. In 12 Jahren hat sich viel verändert und eine Anpassung an veränderte Lebensumstände, veränderte Meinungen und veränderte Zusammensetzung ist notwendig. Das heutige Plenum drehte sich um das Thema Beschlussfassung.

Als erstes versuchten wir, uns darüber bewusst zu werden, welche Ziele wir mit den Mitteln der Beschlussfassung erreichen möchten. Wichtigste Erkenntnis daraus: Es gibt Zielkonflikte. Prominentestes Beispiel ist dabei der Konflikt zwischen dem Wunsch, schnell zu Entscheidungen zu kommen, und dem Maß dessen, wie sehr sich jeder Einzelne an den jeweiligen Beschluss gebunden fühlt.

Solcherart eingestimmt gingen wir daran, die  regelmäßig wiederkehrenden Themen unserer Beschlüsse danach zu sortieren, ob wir sie im Rahmen einer Mitgliedervollversammlung – und damit auch der satzungsmäßig vorbestimmten Mehrheitsverhältnisse – entscheiden wollen oder während eines Plenums, dessen formale Gestaltung noch zu klären ist.

Und nebenbei, hättet ihr vor 12 Jahren gedacht, dass wir mal so strukturiert ins Gespräch kommen? Ich find’s immer noch unglaublich.

Glück ist ansteckend, Depression auch

Der Freund eines glücklichen Individuums wird zum Beispiel mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent ebenfalls glücklich. Gattin oder Gatte eines glücklichen Menschen, im selben Haus lebend, erhöhen ihre Chance auf Glück nur um 8 Prozent. Geschwister haben immerhin eine 14-prozentige Chance auf Glück. Am besten geht’s den Nachbarn: die haben zu 34 Prozent am Glück teil.

Das Phänomen heißt emotionale Ansteckung und funktioniert leider im Guten wie im Schlechten.

Studenten, die drei Monate mit einem depressiven Kommilitonen verbringen mussten, waren danach deutlich weniger glücklich.

Was lernen wir daraus? Wer sich schon selbst nicht glücklich machen kann, kann es ja mal mit seinem Nachbarn versuchen und berechtigterweise darauf hoffen, dass das auf ihn zurückwirkt. Und wer seine Depression in die Welt trägt, bekommt rückwirkend noch mehr davon.

Wo ich das her habe: ein älterer Artikel auf Telepolis.

Update (20.11.2010): Nur mal nachgeschoben, obige wissenschaftliche Erkenntnis ist uns auch aus anderen Zusammenhängen bekannt, wenn wir es nur genügend verallgemeinern. So eine Verallgemeinerung wäre zum Beispiel, dass die Welt uns in etwa so entgegen kommt, wir wir in sie hineingehen. Oder als Aphorismus: „Jeder ist sich selbst Strafe oder Belohnung für das, was er ist.“ Den müsst ihr langsam ankommen lassen, vielleicht auch zweimal lesen oder aufschreiben. „Garbage In, Garbage Out“ ist in der Kurzform GIGO jedem fortgeschrittenen Computernutzer vertraut. Meint, dass ich vernünftige Ergebnisse nur erwarten kann, wenn ich die Maschine auch vernüftig füttere. Und umgekehrt: Müll rein – Müll raus. Und nur, weil er an dieser Stelle nicht fehlen darf, der Buddhismus, hier vertreten durch den Dalai Lama (naja, nicht nur, der Post braucht etwas Farbe).

Bis hierhin ist das alles nichts, was jemanden überraschen würde, der halbwegs aufmerksam seine und anderer Leute Aktionen über einen angemessenen Zeitraum, sagen wir ein halbes Leben lang, beobachtet.

Was ich so überraschend finde, ist dieser irre hohe Wert, in dem unser Befinden auf die Nachbarschaft abfärbt. Oder aus der entgegengesetzten Blickrichtung formuliert, wie sehr unsere Nachbarschaft emotional auf uns abfärbt. Nochmal fettgedruckt: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich selbst als glücklich wahrnehme, liegt bei 34 Prozent, wenn mein Nachbar das auch tut. Das ist für viele nicht anschaulich genug, anders lässt sich nicht erklären, dass wir so weitermachen (fast egal, mit was), wie wir das tun.

Um es etwas anschaulicher zu machen. Stellt euch vor in der Nachbarschaft eines jeden Millionärs ist jeder dritte ebenfalls Millionär. Das nämlich meint eine Wahrscheinlichkeit von 34 % (für Klugscheißer: 33,33 %).Außerdem haben wir bis jetzt nicht mehr, als die dürre Aussage, dass sich in bestimmten Gegenden die Millionäre häufen. Spannend wird das erst, wenn wir Entwicklungen in der Zeit hinzunehmen. Nehmt also an, in der Nachbarschaft eines jeden Millionärs wird jeder dritte Lottomillionär. Dieser Millionär bleibt vermutlich allein deswegen schon Millionär, weil in seiner Nachbarschaft die Grundstückspreise steigen. Naja, mir persönlich wäre die Nachbarschaft zu überlaufen, selbst wenn ich es mir leisten könnte, dort zu wohnen.

Ihr merkt schon, wir Habenichtse bleiben das auch, fern der Nachbarschaft zu irgendeinem Millionär. Außer es gelänge uns, einen in unserer Mitte zum Millionär zu machen. Wenn wir also einen so fördern, dass er es echt zu was bringt, haben wir bei unserer rund 16-köpfigen Nachbarschaft gleich 5 Menschen, denen es ähnlich gut geht. Auch das meint eine Wahrscheinlichkeit von 34 %. Eigentlich sind es sogar ein paar mehr, weil diese 5 ja selbst wieder Nachbarn haben. Der Effekt ist ähnlich der Zinseszinsrechnung, die zu verstehen uns schon immer schwer fiel. Halten wir es also einfach und lassen es bei fünf.

Und mindestens genau so wichtig, dem Rest der Nachbarschaft geht es nach dem Wohlstandsschub im Dorf auch nicht schlechter als vorher. Denn selbst ganz, ganz wenig Teilhabe an einer positiven Entwicklung ist immer noch Entwicklung zum besseren. Letztlich gibt es nur Gewinner.

Praktisch betrachtet werden wir uns nicht einigen können, wenn wir aus unserer kleinen Gemeinschaft bis ins Millionärsdasein fördern werden (das ist nämlich der einzige, der mit Sicherheit Millionär würde, die anderen nur vielleicht). Deshalb schlage ich vor, uns ohne eine solch schwierige Entscheidungsfindung gegenseitig auf unspezifische Weise zu fördern. Bedenke: Einen fördern sorgt für einen Mitnahmeeffekt von fünf. Das ist gewaltig! Und einmal angefangen müsste das eine ziemliche Dynamik entwickeln. Zumindest so lange, wie nicht parallel eine Depressions-Dynamik uns rät, bloß nicht zu viel Geld zu verdienen.

Lesetip: Gemeinsam sind wir stark

Ein deutsch-schweizerisches Forscherteam hat entdeckt, wie Gemeinschaftsgüter nachhaltig und erfolgreich genutzt werden können: Die Schlüsselfaktoren dafür sind freiwillige Kooperationsbereitschaft und die effektive Kontrolle von Trittbrettfahrern.

Artikel auf der Seite von „bild der wissenschaft“, eine ausführlichere Besprechung bietet Silke Helfrich auf dem Commons-Blog.